Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
Ordnung? Anderen Kaffee hab ich nicht.«
»Geht klar.«
Wenig später brachte die Cafébesitzerin das stark duftende Gebräu an den Tisch.
»Bitteschön!«
»Hallo! Wir sind uns schon mal begegnet, oder?«
Angermüller erntete einen überraschten Blick.
»Ist gar nicht so lange her, glaube ich.«
Die junge Frau musterte ihn aufmerksam aus ihren grauen Augen, und dann blitzte es kurz darin auf. Täuschte sich Angermüller oder hatte er auch so etwas wie ein Erschrecken wahrgenommen?
»Stimmt, gestern Abend in Lübeck. Sie waren das, mit den beiden Mädchen. Die eine wollte gern meine Hunde ausführen.«
»Ja, genau. Ihnen gehört also das Café hier? Wie heißen Sie?«
Etwas irritiert antwortete sie: »Lina Stucki. Ja, das ist mein Café. Sind Sie zufrieden, hat es geschmeckt?«
»Ganz wunderbar! Der Brownie war köstlich«, lobte Angermüller.
»Und Sie haben gestern Abend in Lübeck jemanden besucht? Darf ich fragen, wen?«
»Entschuldigung?«
Hatte Lina Stucki bisher nur sehr reserviert gewirkt, klang sie nun zunehmend unwillig.
»Was geht Sie das an, wenn ich fragen darf?«
»Ach ja, ich habe ganz vergessen, uns vorzustellen: Kriminalhauptkommissar Angermüller, mein Kollege Kriminalkommissar Jansen. Also, wen haben Sie besucht?«
Augenblicklich war Lina Stucki eine wachsende Nervosität anzumerken. Sie schaute sich um. Die anderen Gäste saßen ruhig an ihren Tischen, unterhielten sich, lasen Zeitung, tranken Tee oder Kaffee.
»Warum wollen Sie das wissen?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme.
»Zeigen Sie uns bitte mal Ihren Ausweis«, forderte Jansen statt einer Antwort.
Die Frau biss sich auf die Lippen.
»Ja, natürlich. Einen Moment, ich hole ihn.«
»Warten Sie, wir kommen mit. Sie haben doch sicher einen Raum, wo wir etwas mehr unter uns sind?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Bitte, wenn es auch in der Küche geht. Aber ich muss mich nebenher um meine Gäste kümmern.«
Sie nahmen an der Arbeitsplatte auf Hockern Platz, Jansen setzte das Diktiergerät in Gang. Geboren in Dahme, 34 Jahre alt, Alina Stucki lautete ihr voller Name und sie war eine geborene Calese. Der Kriminalhauptkommissar versuchte, sich seine Verblüffung nicht anmerken zu lassen und schaute die junge Frau etwas genauer an. Aber natürlich! Die grauen Augen hatte sie wohl von ihrer Mutter geerbt.
»Ihr Geburtsname ist also Calese«, sagte er langsam, während er das Dokument über die Arbeitsplatte zu Jansen schob. »Und Lorenzo Calese …?«
»Ist mein Bruder, ja.«
Auch Jansen behielt nach dieser Erkenntnis eine undurchdringliche Miene bei.
»Und wem wollten Sie nun gestern Abend einen Besuch abstatten?«
»Meinem Stiefvater, Victor Hagebusch«, kam es etwas zögerlich.
»Den Sie aber nicht angetroffen haben.«
»Nein. Ich habe nur das Siegel auf der Tür gesehen und mir gedacht, dass irgendetwas passiert sein musste. Dann bin ich wieder nach Hause gefahren. Erst später habe ich von meinem Bruder erfahren, dass Victor tot ist.«
»Sie hatten regelmäßig Kontakt zu Ihrem Stiefvater?«
»So regelmäßig nicht. Hin und wieder, mit großen Abständen.«
Immer wieder wandte sich Lina Stucki zur Türöffnung, die ins Café führte, um nach ihren Gästen zu sehen.
»Wie war Ihr Verhältnis zu Victor Hagebusch? War er ein guter Stiefvater?«
»Er war kein Vater, auch kein Stiefvater. Wir Kinder interessierten ihn nicht. Er wusste nichts mit uns anzufangen. Er war ja auch selten da – zum Glück. Meist kam er nur am Wochenende und zelebrierte seine Kochorgien, zu denen er komische Leute einlud. Journalisten, Politiker und andere Wichtigtuer, die er für Prominenz hielt. Um das Bild einer harmonischen Familie zu erwecken, mussten meist wir Kinder mit an der Tafel sitzen. Das war ganz schön nervig. Victor war ein maßloser Schlemmer, und für meinen Bruder war das eine richtige Qual, glaub ich. Entschuldigung, ich muss kassieren.«
Lina Stucki verschwand nach draußen, rechnete an einem Tisch ab. Dann hörte man die Kaffeemaschine zischen. Jemand hatte noch einen Latte Macchiato bestellt. Schließlich kam sie zurück in die Küche.
»Und Sie? Sie hatten keine Probleme mit Ihrem Stiefvater?«
»Ich wusste mich zu wehren. Ich bin ja die Ältere, und wir sind sehr verschieden. Lorenzo hat viel von seiner Mutter. Wenn ich was nicht wollte, habe ich’s einfach nicht gemacht, und Victor hat darauf nicht geachtet. Das war ihm alles zu kompliziert mit mir, glaub ich. Vieles hat er ja auch gar nicht mitbekommen,
Weitere Kostenlose Bücher