Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
Informationen auszutauschen.
Thomas Niemann hatte den Tag über sämtliche Veröffentlichungen Hagebuschs aus dem vergangenen Jahr gesichtet und nichts gefunden, worin der Journalist deutlich gegen Tierrechtsaktivisten Stellung bezog. Es war auch sonst nichts darunter, womit Hagebusch deren Unmut im besonderen Maß hätte wecken können. Angermüller überflog einige von Hagebuschs Artikeln. Sie waren in Stil und Aussage meist eher unspektakulär, ordentliches Handwerk. Auffällig war ab und an nur eine gewisse Häme oder Schadenfreude, die der Autor bei manchen Themen nicht verhehlen konnte.
Da war zum Beispiel einer seiner letzten Artikel für die Lübecker Zeitung aus diesem Sommer. Angermüller erinnerte sich. Es ging um einen Toten auf dem Golfplatz und einen Biohof in der Nähe. Offensichtlich hatte man mit Hagebusch auf dem Biohof nicht reden wollen und er hatte die Leute dort mit Zweideutigkeiten und nebulösen Vorwürfen überzogen, die sie für den ahnungslosen Leser zu einer Drogen dealenden, gammeligen Landkommune machten. Auch für die Beamten vom K1 hatte er einige unfreundliche Worte übrig, denn man hatte ihm damals auf der Pressekonferenz in der Bezirkskriminaldirektion freundlich, aber bestimmt die geforderten Auskünfte verweigert. Tja, ein angenehmer Zeitgenosse war der Hagebusch nicht gerade gewesen, dachte der Kriminalhauptkommissar.
Alle vom K1 waren der Meinung, dass man Fabian Köppe und Lorenzo Calese weiterhin Aufmerksamkeit schenken sollte, ebenso der Schwester des Letzteren. Auch wenn diese erst nach Hagebuschs Ableben vor seiner Wohnung aufgetaucht war, konnte es durchaus eine Verbindung mit der Tat geben. Nach einem kurzen Ausblick auf die Vorhaben des nächsten Tages beendete man schließlich die Runde. Wie gewöhnlich richtete Kriminaldirektor Appels seinen dringenden Wunsch an die Beamten, die Ermittlungen zügig voranzutreiben, und wie gewöhnlich ignorierten diese seinen Appell. Alle wünschten sich noch gegenseitig einen schönen Feierabend und gingen dann auseinander.
»Georg! Wie schön!«
Carolas Entzücken war grenzenlos, als sie ihm auf sein Klingeln die Tür öffnete. Sie war barfuß, in einen weiten, schwarzen Kaftan gekleidet, mit der üblichen Sammlung auffälliger Ketten um den Hals. Georg überreichte ihr die Weinflasche, die er schnell noch in einem Weinhaus in der Fleischhauerstraße besorgt hatte.
»Dank dir! Das hätte doch nicht nötig getan!«
Beherzt zog sie ihn zu sich heran und küsste ihn auf beide Wangen. Angermüller hatte lange überlegt, ob er diese Einladung zum Abendessen überhaupt annehmen sollte.
»Nichts Aufwendiges, ganz intim, nur wir drei«, hatte Carola angekündigt und hinzugefügt: »Dass du und Astrid vorübergehend getrennt seid, heißt ja nicht, dass unsere Freundschaft damit beendet ist, oder? Klas-Dieter und ich würden uns wirklich sehr freuen, wenn du uns mal besuchst, Georg.«
Seit Kindertagen schon waren Angermüllers Frau Astrid und Carola engste Freundinnen. Dabei war Georgs Verhältnis zu Letzterer nicht ganz frei von Vorbehalten. Die Freundin war in der Stadtverwaltung beschäftigt, was sie aber nicht auszufüllen schien. Jedenfalls betätigte sie sich nebenher mit Begeisterung als Gastrokritikerin, wie sie es selbst bezeichnete, und veröffentlichte hin und wieder Restaurantbesprechungen in einigen lokalen Blättchen. Vor allem aber liebte sie es, die selbst weder kochen konnte noch wollte, auch bei privaten Essenseinladungen ihr Urteil in großer Runde kundzutun. Wiederholte Male hatte sie sich damit bei Georg nicht gerade beliebt gemacht.
Sie bat ihn zum Aperitif ins Wohnzimmer.
»Wirklich, ich freu mich, dass wir uns mal wieder sehen! Sonst haben wir uns ja automatisch bei unser aller Geburtstagsfeiern reihum getroffen, aber das wird ja jetzt wahrscheinlich nicht mehr vorkommen, oder?«
»Wenn du damit auf Astrids Geburtstag anspielst: Natürlich bin ich da auch eingeladen«, meinte Georg achselzuckend.
»Ja, warum auch nicht«, lachte Carola ein wenig gekünstelt und nahm erst einmal einen Schluck von ihrem Sekt mit Apérol.
»Ich muss heute noch meine weiße Mandeltorte für sie backen, wenn ich nach Hause komme. Geburtstag ohne Mandeltorte ist bei uns kein Geburtstag.«
Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, befiel Georg ein merkwürdiges Gefühl, eine Mischung aus Trauer und Verwunderung. Er redete so, als ob sich für ihn überhaupt nichts geändert hätte. Er hatte tatsächlich ›bei uns‹ gesagt.
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