Geschöpfe Der Ewigkeit
frei.«
»In Ordnung.« Sie gibt Seymour einen Schubs, so daß er jetzt genau zwischen uns steht.
»Seymour«, sage ich hastig, »mach, daß du wegkommst.«
Er ist verletzt und verängstigt, aber er ist kein Feigling.
»Kommst du wirklich zurecht?« fragt er. Offenbar gefällt ihm der Gedanke nicht, mich allein zu lassen.
»Ja«, antworte ich fest. »Du hilfst mir nicht, indem du bleibst. Geh jetzt!«
Er wendet sich zur Tür.
»Nein!« sagt Heidi. Und Seymour bleibt stehen, so kraftvoll klingt ihre Stimme. »Er wird hierbleiben. Du wirst ihn opfern müssen.«
»Wir haben eine Abmachung«, entgegne ich bitter. »Du mußt ihn gehen lassen.«
»Nein«, wiederholt Heidi, und ihre Stimme klingt kalt und böse. »Ich habe nur zugestimmt, ihn freizulassen, und das habe ich getan. Aber um dich uns anzuschließen, mußt du ihn opfern. Es ist ein Teil deiner Initiation.«
Mein Tonfall ist verächtlich: »So geht ihr also vor? Ihr spaltet die Worte in so dünne Scheiben, daß sie zu Lügen werden.«
Heidi zielt mit der Matrix auf Seymours Rücken. »Du kannst dich noch immer entscheiden. Dir bleiben noch fünf Sekunden.«
Vermutlich guckt sie in solchen Situationen pedantisch genau auf die Uhr. Ich sehe, wie Seymour erbleicht. Offenbar ist er sicher, daß er verloren hat, so oder so. Aber ich habe keine fünftausend Jahre auf dieser Welt verbracht, damit man mich so leicht hereinlegt. Ohne Zweifel weiß dieses Geschöpf einiges über mich, aber nicht alles. Seitdem Kalikas Blut in meinen Adern fließt, kann ich nicht nur Gedanken lesen, sondern auch Dinge mit meinem Willen bewegen. Ich bezweifle nicht, daß meine Tochter Gegenstände aus großer Entfernung beeinflussen konnte. Bei mir erfordert diese Psychokinese jedoch große Konzentration. Abgesehen davon habe ich sie noch nie in einer so kritischen Situation angewandt. Am Lake Tahoe, wo meine Freundin Paula mit ihrem göttlichen Kind lebt, habe ich mich ein bißchen darin geübt, Stöcke und Steine von hierhin nach dorthin zu bewegen.
Aber jetzt muß ich ein Messer werfen.
Muß es durch Heidis Kehle fahren lassen.
Es liegt hinter ihrem Rücken und ein Stück zu hoch. Ich kann es sehen, sie nicht. Doch ich wage nicht, mich darauf zu konzentrieren, aus Angst, daß Heidi meine Absichten erkennt. Statt dessen starre ich weiterhin sie an, während ich nur an das Messer denke. Ich stelle mir vor, wie es sich erhebt, durch die Luft fliegt, sich tief in ihr weiches Fleisch eingräbt und dabei ihre Venen öffnet und ihre Nerven in Stücke reißt. Ja, beruhige ich mich selbst, das Messer wird fliegen. Es kann fliegen. Die geradezu magnetische Kraft meiner Gedanken wird ihm befehlen, es zu tun. Und zwar jetzt.
»Du hast noch zwei Sekunden«, sagt Heidi.
»Und du hast nur noch eine«, flüstere ich, während ich spüre, wie mein Willen nach dem kalten Verbündeten greift, dessen Klinge aus einer besonderen Metallegierung besteht, unendlich viel stärker als Stahl und schärfer als eine Rasierklinge. Fast habe ich das Gefühl, die Waffe in den Händen zu halten.
Dieser Mord bereitet mir Freude, Lust. Und für sie kommt er vollkommen unerwartet.
Die Klinge zischt durch die Luft.
Heidi hört das Geräusch, dreht sich um – zu spät.
Das Messer gräbt sich seitlich in ihren Hals, und im nächsten Moment sehe ich, wie ihr Blut auf den schmutzigen Boden strömt. Aber ich glaube noch lange nicht, daß mein Sieg damit endgültig ist. Heidi hat einen starken Willen; sie wird nicht sterben, ohne sich heftig dagegen zu wehren. Als sie die linke Hand hebt, um die Klinge aus der Wunde zu ziehen, greift die rechte gleichzeitig nach der Matrix und zielt damit auf Seymour und mich. Wir beide stehen in einer Linie vor ihr. Doch ich habe diese Bewegung vorhergesehen und stürze mich auf meinen Freund. Ich trete ihm in die Kniekehlen, und er sackt ein – genau in dem Augenblick, als ein roter Blitz an der Stelle durch die Luft zischt, an der sich eben noch Seymours Kopf befunden hat. Zusammen rollen er und ich über den Boden. Aber im nächsten Moment bin ich wieder auf den Füßen und trete die Matrix aus Heidis Hand, bevor sie noch einmal damit schießen kann. Das Messer in ihrem Hals verlangsamt ihre Bewegungen, aber sie hat es schon ein großes Stück herausgezogen, und vielleicht heilen Wunden bei ihr ja genauso schnell wie bei mir. Aber ich werde ihr keine Gelegenheit dazu geben! Bevor sie das Messer ganz herausziehen kann, strecke ich die Arme aus, greife nach ihrem Kopf und
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