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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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transportieren, sich nie so richtig mit ihrer Arbeit ab. Wie beruhigend wäre diese Vorstellung doch, denn diese Unbeholfenheit könnte bedeuten, daß die Leute dem Schicksal anderer gegenüber nicht so gleichgültig sind, wie es manchmal den Anschein hat.
    Aber diese beiden sahen wohl nur immer wieder unauffällig zu mir hinüber, weil sie neugierig waren. Schließlich bin ich der einzige Bürger von Moonlight Bay, über den die Zeitschrift Time schon mal mit einem großen Artikel berichtet hat.
    Ich bin also derjenige, der in der Nacht lebt und vor dem Anblick der Sonne zurückschreckt. Vampir! Ghoul! Dreckiger exzentrischer Perverser! Bringt eure Kinder in Sicherheit!
    Um gerecht zu bleiben: Die überwiegende Mehrheit der Leute sind verständnisvoll und freundlich. Eine verdorbene Minderheit jedoch sind Klatschmäuler, die alles über mich glauben, was sie hören – und die den gesamten Tratsch mit der Selbstgerechtigkeit von Zuschauern bei einem Hexenprozeß in Salem ausschmücken.
    Falls diese beiden jungen Männer zu den letzteren gehörten, mußten sie enttäuscht festgestellt haben, daß ich bemerkenswert normal aussah. Kein grabesbleiches Gesicht. Keine blutroten Augen. Keine Fangzähne. Ich nahm nicht mal einen kleinen Imbiß aus Spinnen und Würmern zu mir. Wie langweilig.
    Die Räder der Rollbahre quietschten, als die Pfleger mit der Leiche davonfuhren. Noch nachdem die Tür zugeschwungen war, konnte ich das sich entfernende, nervende Geräusch hören.
    Nachdem ich jetzt allein im Zimmer war, holte ich beim Kerzenschein Dads kleinen Reisekoffer aus dem schmalen Schrank. Er enthielt nur die Kleidung, die er getragen hatte, als er ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
    Die obere Schublade des Nachttischs enthielt seine Uhr, seine Brieftasche und vier Taschenbücher. Ich legte alles in den Koffer.
    Das Gasfeuerzeug steckte ich auch ein, aber die Kerzen nicht. Ich wollte nie wieder Myrtenwachs riechen. Dieser Duft war für mich nun mit unerträglichen Assoziationen verbunden.
    Da ich Dads wenige Besitztümer so schnell und zielsicher eingesammelt hatte, hatte ich das Gefühl, mich bewundernswert unter Kontrolle zu haben.
    In Wirklichkeit hatte der Verlust mich wie betäubt zurückgelassen. Als ich die Kerzen löschte, indem ich die Flammen zwischen Daumen und Zeigefinger ausknipste, spürte ich weder die Hitze, noch roch ich die verkohlten Dochte.
    Als ich mit dem Koffer in den Gang trat, schaltete eine Schwester die Deckenbeleuchtung wieder aus. Ich ging direkt zu dem Treppenaufgang, den ich zuvor heraufgestiegen war.
    Fahrstühle konnte ich nicht benutzen, weil ihre Deckenbeleuchtung nicht unabhängig von ihrem Hebemechanismus ausgeschaltet werden konnte. Während der kurzen Fahrt vom zweiten Stock zum Erdgeschoß würde die Sonnencreme mir ausreichend Schutz bieten; aber ich war nicht gewillt, das Risiko einzugehen, für einen längeren Zeitraum zwischen den Etagen steckenzubleiben.
    Ohne daran zu denken, die Sonnenbrille wieder aufzusetzen, ging ich schnell das schwach erhellte Treppenhaus hinunter – und verließ es zu meiner Überraschung nicht im Erdgeschoß. Von einem Zwang getrieben, den ich nicht sofort einordnen konnte, schritt ich schneller als zuvor aus. Der Koffer schlug mir gegen das Bein, während ich zum Keller weiterging, wohin sie meinen Vater gebracht hatten.
    Das taube Gefühl in meinem Herzen war zu einem Frösteln geworden. Es dehnte sich spiralförmig von diesem eisigen Pochen aus, und ich erzitterte mehrmals heftig.
    Auf einmal war ich mir sicher, daß ich die Leiche meines Vaters hatte fortbringen lassen, ohne eine wesentliche Pflicht zu erfüllen, obwohl mir einfach nicht einfallen wollte, was ich hätte tun sollen.
    Mein Herz hämmerte so heftig, daß ich es hören konnte – wie der Trommelschlag eines sich nähernden Trauerzugs, aber doppelt so schnell. Meine Kehle schnürte sich zu, und ich konnte meinen plötzlich bitteren Speichel nur mit Mühe hinunterschlucken.
    Am Fuß der Treppe befand sich eine stählerne Brandschutztür unter einem roten Notausgangsschild. Ziemlich verwirrt blieb ich stehen und zögerte, während ich eine Hand schon auf den Schieberiegel gelegt hatte.
    Dann fiel mir das Versprechen ein, das ich noch nicht erfüllt hatte. Dad, der alte Romantiker, wollte mit seinem Lieblingsfoto von meiner Mutter eingeäschert werden und hatte mich beauftragt, dafür zu sorgen, daß es mit ihm ins Leichenschauhaus gebracht wurde.
    Das Foto war in seiner Brieftasche.

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