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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Dieses Haus brauchte Ulmen, keine Pfefferbäume, einen wolkenbedeckten Himmel statt den klaren Kaliforniens und regelmäßige Regenschauer, die viel kälter waren als die hier üblichen.
    Im ersten Stock, in dem sich Sandys Wohnung befand, war es dunkel.
    Die Aufbahrungsräume lagen im Erdgeschoß. Durch abgeschrägte, bleiverglaste Fenster neben der Haustür sah ich ein schwaches Licht im hinteren Teil des Hauses.
    Ich klingelte.
    Ein Mann betrat die Diele und kam zur Tür. Obwohl ich ihn nur als Silhouette ausmachte, erkannte ich Sandy Kirk an seinem leichtfüßigen Gang. Er bewegte sich mit einer Anmut, die sein bestechendes Aussehen noch verstärkte.
    Er erreichte das Foyer und schaltete sowohl die Innenbeleuchtung als auch die Verandalampen ein. Als er die Tür öffnete, schien er überrascht zu sein, mich zu sehen, wie ich ihn unter dem Schirm meiner Mütze anblinzelte.
    »Christopher?«
    »‘n Abend, Mr. Kirk.«
    »Es tut mir so leid um Ihren Vater. Er war ein wunderbarer Mann.«
    »Ja. Ja, das war er.«
    »Wir haben ihn bereits aus dem Krankenhaus geholt. Wir behandeln ihn wie ein Familienmitglied, Christopher, mit äußerstem Respekt – darauf können Sie sich verlassen. Ich habe in Ashdon seine Vorlesung über die Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts belegt. Wußten Sie das?«
    »Ja, natürlich.«
    »Von ihm habe ich gelernt, Eliot und Pound zu lieben. Auden und Plath. Beckett und Ashbery. Robert Bly. Yeats. Allesamt. Bevor ich die Vorlesung belegt hatte, konnte ich Lyrik nicht ausstehen – und danach konnte ich ohne sie nicht mehr leben.«
    »Wallace Stevens. Donald Justice. Louise Glück. Die mochte er am liebsten.«
    Sandy lächelte und nickte. Dann: »Oh, Entschuldigung, ich habe nicht daran gedacht.«
    Aus Rücksichtnahme auf meinen Zustand schaltete er sowohl die Lampen in der Diele als auch die auf der Veranda wieder aus. »Es muß schrecklich für Sie sein«, sagte er, wie er dort auf der dunklen Schwelle stand, »aber wenigstens leidet er nicht mehr.«
    Sandys Augen waren grün, doch in der fahlen Gartenbeleuchtung sahen sie so glatt und schwarz aus wie die Schalen mancher Käfer.
    Ich sah ihm in die Augen. »Kann ich ihn sehen?« fragte ich ihn.
    »Was – Ihren Vater?«
    »Bevor sie ihn aus seinem Zimmer brachten, habe ich das Laken nicht von seinem Gesicht zurückgeschlagen. Hatte nicht den Mumm dazu, dachte, ich brauchte es nicht. Aber jetzt… ich würde ihn wirklich gern ein letztes Mal sehen.«
    Sandy Kirks Augen waren wie ein ruhiges nächtliches Meer. Unter der unauffälligen Oberfläche lagen unergründliche Tiefen.
    Seine Stimme blieb die eines mitfühlenden Höflings der Hinterbliebenen. »Oh, Christopher… Es tut mir leid, aber der Vorgang hat schon begonnen.«
    »Sie haben ihn schon in den Ofen geschoben?«
    Sandy war in einer Branche großgeworden, die sich durch einen besonderen Reichtum an Euphemismen auszeichnete, und zuckte nun angesichts meiner Unverblümtheit zusammen. »Ja, der Verstorbene befindet sich schon im Feuerbestattungsofen.«
    »Ging das nicht irgendwie sehr schnell?«
    »Bei unserer Arbeit sind Verzögerungen nicht angeraten. Hätte ich nur gewußt, daß Sie kommen…«
    Ich fragte mich, ob seine Käferschalenaugen den Blick der meinen auch so kühn erwidert hätten, wäre es so hell gewesen, daß ich ihre wahre grüne Farbe hätte sehen können.
    »Christopher«, sagte er in mein Schweigen, »es betrübt mich so sehr, Sie in solchem Schmerz zu sehen, vor allem, weil ich ihn hätte lindern können.«
    In meinem seltsamen Leben habe ich mit manchen Dingen große und mit anderen kaum Erfahrung gewonnen. Dem Tag mag ich zwar fremd sein, aber die Nacht kenne ich so gut, wie kein anderer das je wird. Und ich mag zwar gelegentlich der Gegenstand grausamer Spaße gewesen sein, aber der Großteil meines Wissens über das menschliche Herz stammt aus dem Umgang mit meinen Eltern und jenen guten Freunden, die, wie ich, hauptsächlich zwischen Sonnenuntergang und Morgendämmerung leben; infolgedessen bin ich nur selten verletzendem Betrug begegnet.
    Sandys Täuschung war mir peinlich, als beschämte sie nicht nur ihn, sondern auch mich, und ich konnte seinem dunklen, glasharten Blick nicht mehr standhalten. Ich senkte den Kopf und schaute auf den Verandaboden.
    Er hielt meine Verlegenheit offenbar für Trauer, die mir die Kehle zuschnürte, trat auf die Veranda und legte eine Hand auf meine Schulter.
    Mir gelang es, nicht vor ihm zurückzuzucken.
    »Mein Beruf ist es,

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