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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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lag frei. Sein gelblich-weißes, verfilztes Haar ließ den Mann aussehen, als wäre er bei einem kräftigen Wind gestorben. Doch der wachsgrauen Haut, den eingefallenen Wangen und stark eingerissenen Lippen zufolge war er nicht einem Sturm, sondern einer langen Krankheit erlegen.
    Wären Bobby und ich mit dem Mann zu dessen Lebzeiten bekannt gewesen, hätten wir ihn in seinem aschfahlen und ausgemergelten Zustand trotzdem nicht erkannt. Wäre er jemand gewesen, den wir auch nur beiläufig gekannt hätten, wäre er nicht weniger grausig, wenn auch vielleicht kein so großes Objekt der jungenhaften Phantasie und dunklen Freude gewesen.
    Da wir gerade erst dreizehn Jahre alt waren und stolz darauf, war für uns das Bezwingendste, Bemerkenswerteste und Wunderbarste an dieser Leiche natürlich das, was an ihr besonders ekelhaft war. Ein Auge war geschlossen, das andere aber war weit aufgerissen, und wurde von einer hellroten, sternförmigen Blutung verunstaltet.
    Wie dieses Auge uns in den Bann schlug…
    Es war so todesblind wie das gemalte Auge einer Puppe, durchschaute uns aber trotzdem bis ins Mark.
    Auf der einen Seite befanden wir uns in einer stummen Verzückung des Entsetzens, aber andererseits flüsterten wir auch ab und zu so dringlich wie zwei Sportreporter, die ein spannendes Endspiel kommentierten. Wir beobachteten, wie Frank und sein Mitarbeiter den Einäscherungsofen in der Ecke des Raums vorbereiteten. Da drinnen mußte es warm gewesen sein, denn die Männer legten ihre Krawatten ab und rollten die Hemdsärmel hoch, und winzige Schweißtropfen webten Perlenschleier auf ihren Gesichtern.
    In der Oktobernacht draußen war es eher mild. Aber Bobby und ich zitterten und hatten eine Gänsehaut und wunderten uns, daß unser Atem nicht in weißen, winterhaften Wolken vor unseren Mündern dampfte.
    Die Leichenbestatter schlugen das Laken vom Körper zurück, und wir Jungs keuchten entsetzt auf über die Schrecken des fortgeschrittenen Alters und der mörderischen Krankheit. Aber wir keuchten mit demselben süßen Prickeln des Entsetzens auf, das wir verspürt hatten, als wir voller Begeisterung Videos wie Die Nacht der lebenden Toten angeguckt hatten.
    Als die Leiche in einen Sarg aus Pappkarton gelegt und in die blauen Flammen des Feuerbestattungsofens geschoben wurde, umklammerte ich Bobbys Arm, und er legte eine feuchte Hand auf meinen Nacken, und wir hielten einander fest, als zöge eine übernatürliche magnetische Kraft uns unerbittlich vorwärts, als könnte sie das Fenster zertrümmern und uns in den Raum, zu dem Toten in das Feuer wirbeln.
    Frank Kirk klappte den Ofen zu.
    Selbst durch das geschlossene Fenster war das Scheppern der Klappe deutlich zu vernehmen, und es klang so endgültig, daß es in den Hohlräumen unserer Knochen hallte.
    Als wir später die Teakholzbank auf den Hof zurückgebracht hatten und vom Grundstück des Bestattungsunternehmen geflohen waren, erholten wir uns auf den billigen, nicht überdachten Plätzen des Footballplatzes hinter der High School. Da gerade kein Spiel stattfand, war dieser Ort unbeleuchtet und deshalb nicht gefährlich für mich. Wir kippten Cola und mampften Kartoffelchips, die Bobby unterwegs in einem durchgehend geöffneten Laden gekauft hatte.
    »Das war cool, das war voll cool«, erklärte Bobby begeistert.
    »Das war das Coolste überhaupt«, sagte ich zustimmend.
    »Cooler als Neds Karten.«
    Ned war ein Freund, der erst im August zuvor mit seinen Eltern nach San Francisco gezogen war. Er besaß ein Kartenspiel, – woher er es hatte, verriet er uns nie – das Farbfotos von wirklich heißen Frauen zeigte, zweiundfünfzig verschiedene Schönheiten.
    »Eindeutig cooler als die Karten«, pflichtete ich ihm bei. »Cooler als der riesige Tanklaster da, der sich auf dem Highway überschlagen hat und dann explodiert ist.«
    »Ja, voll endzeitcooler. Cooler als da, wo Zach Blenheim von dem Pitbull angenagt worden ist und wo er mit achtundzwanzig Stichen im Arm genäht werden mußte.«
    »Megamal cooler!« bestätigte ich.
    »Sein Auge!« sagte Bobby und dachte zweifellos an die sternförmige Blutung.
    »O Gott, sein Auge !«
    »Kotz-o-kotz!«
    Wir kippten Cola in uns rein und sprachen und lachten mehr, als wir je zuvor in einer Nacht gelacht hatten.
    Was für erstaunliche Geschöpfe sind wir doch mit dreizehn Jahren.
    Dort auf den billigen Plätzen des Sportplatzes wußte ich, daß dieses makabre Abenteuer unsere Freundschaft mit einem Knoten verbunden hatte, den

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