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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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dem Highway l ums Leben gekommen war, hatte mein Vater die Glock gekauft. Als glaubte er, sich fortan schützen zu müssen.
    Im Arbeitszimmer gegenüber dem Schlafzimmer steckte mein Handy im Aufladegerät. Ich stöpselte es aus und klemmte es an meinem Gürtel fest.
    Orson war nicht im Arbeitszimmer.
    So wie es aussah, war Sasha allerdings vorbeigekommen, um ihn zu füttern. Vielleicht hatte sie ihn mitgenommen, als sie wieder gegangen war. Wenn Orson genauso trübselig gewesen war wie zu dem Zeitpunkt, als ich zum Krankenhaus gefahren war – oder falls seine Stimmung sich gar noch verschlechtert haben sollte –, hatte Sasha es vielleicht nicht übers Herz gebracht, das arme Tier allein hier zurückzulassen, denn in ihren Adern floß genauso viel Mitgefühl wie Blut.
    Doch selbst, wenn Orson mit Sasha gefahren war – wer hatte die 9-mm-Pistole aus dem Zimmer meines Vaters geholt und auf mein Bett gelegt? Sasha bestimmt nicht. Sie wußte sicher nicht, daß es die Waffe überhaupt gab, und sie hätte niemals die Sachen meines Vaters durchwühlt.
    Das Telefon auf dem Schreibtisch war an einen Anrufbeantworter angeschlossen. Im Display neben der blinkenden Birne, die mir verriet, daß Nachrichten eingegangen waren, waren zwei Anrufe verzeichnet.
    Der automatischen Zeit- und Datumsfunktion des Geräts zufolge war der erste Anruf erst vor einer halben Stunde erfolgt. Er hatte fast zwei Minuten gedauert, auch wenn der Anrufer kein einziges Wort gesagt hatte.
    Anfangs atmete er tief und langsam ein und fast genauso langsam wieder aus, als besäße er die magische Fähigkeit, die Myriaden Gerüche in meinem Zimmer sogar durch eine Telefonleitung aufzunehmen und auf diese Weise herauszufinden, ob ich zu Hause oder fort war. Nach einer Weile fing er an zu summen, als hätte er vergessen, daß er aufgezeichnet wurde, und brummte nur wie ein tief in Gedanken verlorener Tagträumer vor sich hin, eine anscheinend improvisierte, unzusammenhängende Melodie, gewunden und tief, unheimlich und eintönig, wie das Lied, das vielleicht ein Verrückter hört, wenn er glaubt, den Gesang ganzer Chöre von Engeln des Untergangs zu vernehmen.
    Ich war mir sicher, daß es sich um einen Fremden handelte. Die Stimme eines Freundes hätte ich wohl auch lediglich anhand dieses Summens erkannt. Außerdem war ich mir sicher, daß er sich nicht verwählt hatte; irgendwie hatte der Anruf mit dem zu tun, was sich nach dem Tod meines Vaters ereignet hatte.
    Als die erste Aufzeichnung endlich vorbei war, merkte ich, daß ich die Hände zu Fäusten geballt hatte und die Luft anhielt. Ich atmete einen heißen, trockenen Schwall aus und einen kühlen, süßen Zug ein, konnte die Hände aber noch nicht wieder öffnen.
    Der zweite Anruf, der nur ein paar Minuten vor meiner Rückkehr erfolgt war, kam von Angela Ferryman, der Krankenschwester, die meinen Vater versorgt hatte. Sie nannte ihren Namen nicht, aber ich erkannte ihre dünne und dennoch musikalische Stimme. Während der Aufzeichnung sprach sie immer schneller, wie ein zunehmend rastloser Vogel, der auf einem Zaun von einer Palisade zur nächsten sprang.
    »Chris, ich will mir dir sprechen. Muß mit dir sprechen. So schnell wie möglich. Heute abend. Wenn du kannst, noch heute abend. Ich bin im Wagen, fahre gerade nach Hause. Du weißt, wo ich wohne. Komm zu mir. Ruf nicht an. Ich vertraue Telefonen nicht. Mir paßt es nicht mal, daß ich dich anrufen muß. Aber ich muß dich sprechen. Komm zur Hintertür. Ganz gleich, wie spät es wird, komm trotzdem. Ich werde nicht schlafen. Kann nicht schlafen.«
    Ich legte ein neues Band in das Gerät ein. Die alte Kassette versteckte ich unter dem zerknüllten Schreibpapier ganz unten im Papierkorb neben meinem Schreibtisch.
    Diese beiden kurzen Tonbandaufzeichnungen würden einen Cop oder Richter von gar nichts überzeugen. Trotzdem waren sie die einzigen Beweise, die ich dafür hatte, daß irgend etwas Außergewöhnliches geschah – etwas noch Außergewöhnlicheres als meine Geburt in die winzige, sonnenlose Menschenkaste meinesgleichen. Etwas noch Außergewöhnlicheres als der Umstand, trotz Xeroderma pigmentosum achtundzwanzig Jahre überlebt zu haben.
    Ich war noch keine zehn Minuten zu Hause. Trotzdem vertrödelte ich wahrscheinlich zuviel Zeit.
    Während ich nach Orson suchte, rechnete ich irgendwie damit, daß jeden Augenblick die Tür aufgebrochen oder eine Fensterscheibe im Erdgeschoß eingeschlagen werden würde und dann Schritte auf der Treppe

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