Geschöpfe der Nacht
unteren Rippen. Weil er das Donnern der Wellen ungehindert hören wollte, verzichtete Corky beim Surfen manchmal auf Ohrstöpsel, und so bildete sich bei ihm eine Exostose; der Kanal zum Innenohr zieht sich zusammen, wenn er mit kaltem Wasser gefüllt wird, und aufgrund wiederholten Mißbrauchs verengt ein gutartiger Knochentumor den Ohrkanal. Mit fünfzig Jahren war Corky auf dem linken Ohr immer wieder einmal taub. Ein Surfer leidet nach einer ausgiebigen Session, bei der die Wellen oft über ihm zusammenbrechen, stets unter einer Tropfnase, wenn die Nebenhöhlen sich explosiv leeren und das Meerwasser hinauszwingen, das ihm in die Nasenlöcher gestiegen ist; diese Schweinerei passiert einem normalerweise immer dann, wenn man sich mit einem umwerfend tollen Mädchen unterhält, das einen ganz knappen Tanga trägt. Nach zwanzig Jahren des hämmernden Niesens und nachfolgender Nasensturzbäche bildete sich bei Corky eine Exostose der Nebenhöhlengänge, die eine Operation erforderlich machte, um seine Kopfschmerzen zu lindern und die normale Nasenfunktion wiederherzustellen. Bei jedem Jahrestag dieser Operation schmiß er eine Entwässerungsparty. Da er jahrelang der gleißenden Sonne und dem Salzwasser ausgesetzt war, wurde Corky auch vom sogenannten Surferauge befallen, dem Pterygium, einer flügelfellähnlichen Verdickung der Bindehaut über dem Weißen des Auges, die sich irgendwann auch über die Hornhaut erstreckt. Seine Sehkraft ließ allmählich nach.
Vor neun Jahren blieb ihm dann eine Augenoperation erspart, weil er getötet wurde. Nicht von einem Melanom, nicht von einem Hai, sondern von Big Mama selbst, dem Meer. Obwohl Corky damals neunundsechzig Jahre alt war, ging er bei monströsen Sturmwellen raus, über sechs Meter hohen Ungetümen, Erdbebenwellen, rollendem Donner. Kaum ein Surfer, der ein Drittel so alt war wie er, hätte sich bei so einem Wetter hinausgewagt, aber Zeugen zufolge war er ganz allein da draußen, schrie vor Freude, schwebte wiederholt fast in der Luft, jagte auf dem Kamm dahin, zog wahrhaft heilige Spuren, machte wiederholte Ritte – bis er plötzlich völlig die Herrschaft über das Surfbrett verlor, ins Wasser fiel und von einer brechenden Welle runtergedrückt wurde. Monstren dieser Größe können Tausende von Tonnen wiegen, was eine Menge Wasser ist, viel zuviel, um dagegen anzukämpfen, und selbst ein geübter Schwimmer kann von so einer Welle eine halbe Minute oder länger, vielleicht viel länger, unter Wasser gedrückt werden, bevor er wieder Luft schnappen kann. Corky hatte Pech. Er kam im falschen Augenblick wieder hoch, nur um von der nächsten Welle wieder tief heruntergehämmert zu werden, und ertrank also, weil zwei Wellen ihn unter Wasser drückten.
Surfer von einem Ende Kaliforniens bis zum anderen waren der Meinung, daß Corky Collins das perfekte Leben geführt hatte und auch den perfekten Tod gestorben war. Exostose des Ohrs, Exostose der Nebenhöhlen, Pterygium in beiden Augen – das alles war Corky scheißegal, und das alles war besser als Langeweile oder Herzkrankheit, besser als eine dicke Rente, die man sich verdienen mußte, indem man sein Leben lang in einem Büro versauerte. Das Surfen war das Leben, das Surfen war der Tod, die Macht der Natur war gewaltig und allumfassend, und es wurde einem warm ums Herz, wenn man an Corkys beneidenswert schönen Weg durch ein Leben dachte, das für so viele andere so große Probleme mit sich brachte.
Bobby erbte das Cottage.
Bobby war darüber baß erstaunt. Wir beide hatten Corky Collins gekannt, seit wir elf Jahre alt waren und uns zum erstenmal mit Brettern auf unseren Fahrrädern ans Ende des Horns gewagt hatten. Er war der Mentor einer jeden Surfratte, die unbedingt Erfahrungen sammeln und den Kniff herausbekommen wollte. Er benahm sich nicht, als hätte er die endgültige Weisheit gepachtet, aber alle respektierten Corky dermaßen, als hätte ihm tatsächlich der gesamte Strand von Santa Barbara bis nach Santa Cruz gehört. Er hatte keine Geduld für einen Gyrospasti – wie wir Surfer jemanden nennen, der eine gute Welle aufreißt und zerfetzt, um sie für alle anderen zu verderben – und nur Verachtung für Freewaysurfer und hohle Schwätzer übrig, war aber ein Freund und eine Inspiration für uns alle, die wir das Meer liebten und mit seinen Rhythmen harmonierten. Corky hatte wahre Heerscharen von Freunden und Bewunderern, von denen er einige über dreißig Jahre lang gekannt hatte, und so waren wir
Weitere Kostenlose Bücher