Geschöpfe der Nacht
ragten schwarz über die Wipfel. Sie näherten sich dem Rand des Parks und stießen auf eine hohe Buchsbaumhecke. Rafe ging allein vorwärts und untersuchte sie vorsichtig. Nach einer halben Minute kehrte er zurück zu Gabrielle und Lukas.
»Hinter der Hecke ist ein Drahtzaun«, sagte er, »und an den Pfosten sind Isolatoren. Also ist er elektrisch geladen und wahrscheinlich mit einer Alarmanlage versehen. Er ist ungefähr drei Meter hoch. Lukas, weißt du, wie hoch das ist?«
»Ja«, sagte Lukas.
»Wenn ich mich gebückt vor die Hecke stelle, so wie jetzt« – er macht es vor, beide Hände auf die Knie gestemmt – »kannst du dann einen Sprung auf meinen Rücken und den nächsten über Hecke und Zaun machen?«
»Ja«, sagte Lukas.
»Gut. Dann machen wir es so. Wenn du hinter dem Zaun bist, Lukas, bleibst du nahe daran. Weiter drinnen könnten Fallen oder Selbstschüsse sein, und wahrscheinlich gibt es direkt innerhalb des Zauns einen Trampelpfad für Inspektionszwecke. Du folgst der Innenseite des Zauns, bis du zum Haupteingang oder Tor auf der anderen Seite kommst. Dann wartest du, bis ich dort bin und versuchen werde, hineinzukommen.«
»Aber dort könnte jemand auf Wache sein!« sagte Gabrielle.
»Damit rechne ich«, antwortete Rafe. »Ich werde versuchen, den Wächter an die Innenseite des Tores zu locken. Wenn es soweit ist, Lukas, springst du ihn an – schnell, bevor er ein Geräusch machen kann. Bewege dich nicht, bis ich deinen Namen sage – dann nimmst du ihn. Hast du Verstanden?«
»Verstanden«, sagte Lukas.
»Gut. Nun sieh zu, daß du über den Zaun kommst.«
Sie gingen zusammen zur Hecke. Rafe spreizte seine Beine und beugte seine Schultern, umfaßte seine Schenkel oberhalb der Knie.
»Fertig, Lukas«, sagte er. »Spring.«
Er hörte ein Rascheln von Gras, ein kurzes, schnelles Trommeln von Pfoten und dann kam ein Aufprall, der ihm den Atem nahm und ihn beinahe vornüber in Hecke und Zaun stieß. Er richtete sich wankend auf und spähte durch den Zaun, sah aber nur Dunkelheit.
»Lukas?« flüsterte er.
Ein leises Winseln erklang. Eine Sekunde später löste sich eine Gestalt aus der Schwärze und kam zum Zaun.
»Fein! Guter L…« Er brach ab. Er hatte Lukas wie einen braven Hund loben wollen. Aber Gabrielle hatte recht. Lukas war mehr als ein Tier. Er hatte zuviel von einer Person, um mit herablassenden Worten belohnt zu werden. »Das war gute Arbeit, Lukas.«
Wieder das leise Winseln.
»Wir gehen jetzt«, sagte Rafe, sich nach rechts wendend. »Bleib möglichst auf gleicher Höhe mit uns.«
Sie gingen los. Es war ein langer Weg durch Dunkelheit und taunasses Gras, denn der Park war nicht klein. Sie erreichten einen Feldweg, der ein Stück parallel zum Zaun verlief, dann kamen sie auf die ungeteerte Landstraße. Hier hörte der Drahtzaun auf und machte einer hohen Mauer Platz, auf deren Krone die elektrisch geladenen Drähte weiterliefen. Sie gingen im Gras neben der schmalen Straße, um unnötige Geräusche zu vermeiden, und nach hundertfünfzig Metern oder so kamen Tor und Einfahrt in Sicht.
Rafe bewegte sich langsamer. So leise wie möglich stiegen sie durch das hohe Gras am Fuß der Mauer zum nächsten Torpfeiler.
Das Tor sah genauso aus, wie er es sich vorgestellt hatte: hoch und mächtig geschwungen und mit vielen barocken Schnörkeln und Ornamenten aus Schmiedeeisen. Er wartete einige Sekunden länger, fühlte die kühle Luft im Gesicht und auf den Händen und hörte sein Herz pochen. Dann trat er am Pfeiler vorbei und ging langsam zur Mitte des Tores, wo die zwei Flügel zusammenstießen.
Er blieb stehen, umfaßte die Gitterstangen und versuchte das Tor aufzustoßen, als ob helles Tageslicht und er ein vertrauter Besucher wäre. Er entdeckte, daß das Tor nicht nur abgeschlossen, sondern mit einer querliegenden, schwenkbaren Eisenstange gesichert war.
»Halt! Stehenbleiben, da!« sagte eine Männerstimme von rechts hinter dem Tor. In der Dunkelheit wurde die Tür eines Wachhäuschens geöffnet, dessen Umrisse im Lichtschein aus dem Inneren sichtbar wurden. Die Silhouette eines großen, breitschulterigen Mannes erschien in der Öffnung und kam dann zum Tor. Der Wächter hielt eine Maschinenpistole unter dem rechten Arm.
Rafe stand bewegungslos vor dem Tor. Die schwarzen, schmiedeeisernen Stäbe waren weit genug auseinander, daß er seine Arme durchstecken konnte.
»Keine Bewegung«, sagte der Mann. Die Maschinenpistole zielte durch die Stäbe auf Rafe. »Nehmen Sie
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