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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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Leben, zumindest in unseren Breiten, für jeden bereithält, der sie sich ohne Angst gestattet. Epikur in seinem Garten lehrte diese schlichte menschenfreundliche Lebenskunst und wurde eben deswegen jahrhundertelang von misanthropischen Christen als hedonistisches Ungeheuer verleumdet. Auch heute stehen die harmlosen epikureischen
Genüsse wieder unter Generalverdacht. Ein neuer Puritanismus, der sich wie die meisten modischen Trends von den USA her über die westliche Welt ausgebreitet hat, vergällt uns allzu oft die kleinen Alltagfreuden. Statt beim Essen und Trinken fröhlich zuzugreifen, zählen wir Kalorien, statt uns im Angesicht eines weißbewölkten Sommerhimmels im Gras auszustrecken, walken wir, Stöcke schwingend und schwitzend, auf staubigen Wegen durch Feld und Flur. Weil wir auch in fortgeschrittenem Alter immer noch meinen, kalifornischen Fitnessidealen genügen zu müssen, joggen wir morgens vor dem Frühstück zehn oder fünfzehn Kilometer und quälen uns nach Feierabend anderthalb Stunden lang an den Apparaten im Fitness-Studio. Wir essen fettarm oder, wenn schon Fett, dann nur ungesättigte Fettsäuren (wegen des Cholesterinspiegels), verzichten auf Salz (wegen der Gefahr des Bluthochdrucks), nehmen täglich sechs verschiedene Vitaminpräparate zu uns, mischen in unsere Speisen fade Ballaststoffe (wegen der Verdauung) und schlucken Magnesiumtabletten gegen Krämpfe, die wir womöglich gar nicht bekämen, wenn wir uns nicht aus Gesundheitsgründen meinten überanstrengen zu müssen. Und wenn wir am fünfzigsten Geburtstag erschrocken feststellen, dass wir vermutlich schon mehr als die Hälfte unseres Lebens hinter uns haben, machen wir eine mehrwöchige Anti-Aging-Therapie. Die »atemlosen Besessenheiten der Gesundheit, der Sicherheit, der Korrektheit etc.«, so Robert Pfaller, berauben uns der einfachen Möglichkeiten, das Leben zu genießen. 41
     
    Der niederländische Arzt und Autor Midas Dekkers hat über den die westliche Welt in immer neuen Schüben heimsuchenden Gesundheitswahn ein ironisch-aufrüttelndes Buch geschrieben. 42 Sein Fazit: All die ausgeklügelten Rezepte, die
uns Heere von Gesundheitsberatern andienen, der ganze ungeheure Aufwand an Präparaten, Geräten und Therapien zur Gesunderhaltung kommt vor allem der ständig wachsenden Gesundheitsindustrie, keineswegs aber unserer Gesundheit zugute. Für den Durchschnittsmenschen ist es das Beste, wenn er isst, was er von zu Hause kennt und was ihm schmeckt, wenn er sich dann und wann aus dem Sessel erhebt, um zum Briefkasten oder in die Eckkneipe zu gehen oder im Garten die Rosen zu schneiden. »Sport treiben ist völlig überflüssig. Was wir brauchen, sind fünf Mal in der Woche eine halbe Stunde Bewegung, noch besser eine Stunde. Rad fahren oder spazieren gehen reichen vollkommen.« 43 Natürlich sollte man bei einer ernsthaften Erkrankung einen Arzt aufsuchen, natürlich gibt es Unfälle, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen. Aber wir sollten uns nicht einreden lassen, wir seien krank und therapiebedürftig, wenn uns im Grunde nichts fehlt, außer, dass wir nicht mehr ganz so ausdauernd, nicht mehr ganz so schlank und faltenfrei sind wie in unserer Jugend.
     
    Es spricht allerdings wenig dafür, dass solche nicht nur gut gemeinten, sondern auch weisen und zudem wissenschaftlich begründeten Einreden den für viele so einträglichen Trend stoppen könnten. Außerdem, wer könnte das leugnen, gibt es ja tatsächlich Entwicklungen, die zur Sorge um unsere Gesundheit Anlass geben. Ist es denn nicht richtig, dass durch die moderne bewegungsarme Lebensweise und durch allzu viel Fast Food und kalorienreiche Getränke die Zahl der Übergewichtigen zugenommen hat? Und sollte man diesen Menschen in ihrem eigenen Interesse nicht dringend nahelegen, sich mehr zu bewegen und eine variablere Kost zu sich zu nehmen? Natürlich ist dies so, und natürlich kann Sport für Kinder und Erwachsene, abgesehen davon, dass er, maßvoll
ausgeübt, tatsächlich gesund ist, auch eine wichtige Quelle der Lebensfreude darstellen. Merkwürdigerweise übersieht Dekkers bei seiner Polemik gegen das Sporttreiben vollkommen, dass ganz andere Motive als das Interesse an der eigenen Gesundheit im Sport maßgebend sind: der timotische Trieb, die Lust, sich im Wettbewerb mit anderen zu messen, der natürliche Bewegungsdrang und die Freude an der Verausgabung der Kraft und an der eigenen Geschicklichkeit. Auch bei Themen wie Gesundheit und Sport geht es

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