Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
sorglosen amerikanischen Leben ein und vergaß darüber jeden Wagemut, den es gebraucht hätte, um den Tietjenfrottee zu einem Erfolgsprodukt zu machen. Karl war zu bequem, um die nötigen Risiken einzugehen. Er vernachlässigte Termine, er hatte keinen Glanz in den Augen, wenn er in einem Linen Store seine Kollektion vorstellte. Er versprach keine Wunder, er umschmeichelte nicht, und er schüchterte niemanden ein. Die Verhandlungspartner der Hotels ebenso wie die beiden gebohnerten Abteilungsleiter des Kaufhauses Macy’s hatten Karl Tietjen längst vergessen.
Zurück in Essen war die neue Welt für Kurt senior schnell in der Erinnerung verblasst. Ohne das Gewicht seines Bruders trieb Kurt Tietjen mühelos an die Spitze der Firma. Er brachte steigende Umsatzzahlen und nahm dem alten Justus das Wort aus dem Mund. Dieser begriff nicht länger, was in der Firma vor sich ging und wie man in der neuen Zeit vorankam. Hin und wieder erzählte Justus von seinen einstigen Erfolgen, von den Verträgen mit dem Heer, doch niemand interessierte sich mehr dafür. Mit dem Krieg von damals, entgegnete ihm sein Sohn, habe der jetzige so viel zu tun wie eine Flugabwehrkanone mit einem Burggraben. Justus wollte etwas erwidern, ließ aber dann nur den Kopf hängen und zog sich in den hintersten Teil des Hauses zurück.
Meine Zeit ist vorbei, erklärte Justus seiner Frau. Ein Handtuch ließe sich drei, vielleicht ein viertes Mal falten. Ein Handtuch aber, das sich fünf-, sechsmal falten ließe, sei nicht schicklich. Das sei grotesk. Und er selbst habe sich viermal gefaltet: Einmal für den Kaiser und seine Streitkräfte. Einmal für die Sozialdemokraten. Einmal für das Zentrum. Und einmal für seine Mitarbeiter. Er könne nicht mehr. Justus Tietjen stahl sich in ein entlegenes Zimmer des Tietjen’schen Palastes fort, legte sich auf das Bett und stand nicht mehr auf. Alle im Haus mieden das Zimmer, in dem der einstige Phantast Justus Tietjen zusehends seine märchenhaften Ideen verlor. Die Luft sei dumpf, und man fühle sich, als würde man jeden Moment in einen tiefen Schlaf fallen, erklärte das Zimmermädchen dem neuen Hausherrn Kurt senior und weigerte sich, dort oben zu bedienen. Nur Justus’ Frau kam jeden Morgen hinauf und brachte ihrem Mann, dem greisen Dornröschen, frische Blumen.
Kurt senior übernahm die Geschäfte. Und er machte Gewinne. Dabei hatte er sich, wie es im Nachhinein hieß, aus allem herausgehalten. Er hatte, wie man im Nachhinein sagte, nie mit der Regierung kollaboriert, er hatte nicht wie sein Vater mit dem deutschen Militär Verträge geschlossen. Kurt senior hatte sich in den Kriegsjahren still verhalten und Gewinne gemacht, mit nichts, in absentia. Irgendwann, Jahrzehnte später und in einem anderen Zusammenhang, tauchte ein Handtuch auf, in dem am unteren linken Rand ein Hakenkreuz eingestickt war. Keiner konnte sagen, wo es gelegen, wer es gefunden hatte, und da war es auch schon wieder verschwunden, so plötzlich, wie es aufgetaucht war, und niemand fragte weiter nach.
Karl hatte in der Zwischenzeit eine Frau gefunden, die ihm aufgrund ihres Silberblicks aufgefallen war. Gwendolyn, hübsch, gelangweilt und mit einer Heirat einverstanden, war Tochter zweier Einwanderer, eines Schwaben und einer Französin, die sich auf einem Nordamerikadampfer kennengelernt hatten. Ihre Mutter war Strickerin gewesen. Gwen und Karl teilten ihre Begeisterung für Textilien und Pferde. Zusammen durchstöberten sie die Stoffgeschäfte der Vororte, und Gwen begleitete Karl zum Springreiten, folgte mit ihrem schiefen Blick dem Geschehen, und niemand hätte sagen können, ob sie dem Lauf der Pferde oder dem Treiben ringsum zusah. Karls Pferd hieß Cottonball, im Sommer 43 gewann er zum ersten Mal ein kleines Turnier, und die Frotteelieferungen aus Deutschland gingen ein ums andere Mal in den Wirren des Krieges verloren.
Während die Männer in seiner Nachbarschaft auf dem Weg nach Island waren, um Krieg gegen ein Reich zu führen, das für Karl mittlerweile nur noch als Nachricht in den United News existierte, gewann er seinen ersten Pokal beim Mazuqueeka-Amateur-Derby und erhielt den Spitznamen »Der deutsche Baumwollbaron«. Gwen beteuerte allabendlich, wie stolz sie auf ihn sei, doch sie begannen bereits, zwischen Rosenhecken und Hollywoodschaukel die distanzierte Ehe seiner Eltern nachzuleben.
Einmal im Monat trafen Neuigkeiten aus Essen ein, die der junge Mann vom Telegrafenamt, kaum dass er vor Gwendolyn
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