Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
stand, auszurichten vergaß. Karls Frau erwachte aus ihrer Lethargie, war zugewandt, lebhaft und hatte nichts dagegen, dass Karl immer häufiger bis in die Nacht im Reitverein blieb. Freitags gingen sie ins Kino, Gwen und Karl, aßen Popcorn, und jede Woche setzte sich während der Wochenschau, wenn es im Saal schon dunkel war, der Mann vom Telegrafenamt neben Gwen. Der Krieg fand weit entfernt statt, vielleicht nur auf der Leinwand vor ihnen, das Gerücht ging um, er sei nicht mehr als ein Filmtrick aus Hollywood.
An dem Tag, an dem Karls amerikanischer Traum platzte, war es sonnig und kalt. Ein weiteres Rennen, bei dem die Wettquoten eins zu dreihundert für den deutschen Baumwollbaron standen. Ein einziger Gegner war angetreten, ein lächelnder Greis mit einem Klappergaul. Karls Pferd stürzte noch schneller als erwartet dem letzten Hindernis entgegen, ein Huf blieb am Gestänge hängen, das Pferd rollte sich über den Rücken ab. Der auf dem Sattel festgezurrte Karl Tietjen wurde unter dem Gewicht des Araberhengstes erdrückt. Ein Riss in der Lunge, durch gebrochene Rippen hineingestoßen, sei die Todesursache gewesen, schrieb das Lokalblatt am folgenden Tag.
Mit den paar Dollar aus der amerikanischen Lebensversicherung reiste Karls Frau Richtung Süden und kehrte nie wieder zurück. Das Haus in jenem nach Weichspüler duftenden Vorort, der den Namen einer ausgelöschten Indianerkolonie trug, verwahrloste. Erst als Monate später ein Makler nach dem Rechten sah, entdeckte er einen hellen Frotteefilm, der sich von der Garage aus über den Boden des gesamten Hauses ausgebreitet hatte. Was von Karl blieb, war ein kleiner Bericht in der Essener Presse und der Vermerk, er sei in Amerika gefallen.
IV
Über Nacht war Kurt Tietjen verschollen, irgendwo zwischen Düsseldorf und New York, im Wechsel vom 10. auf den 11. Mai 2009. Die Anrufe an seine Mobilnummer wurden von einer automatischen Ansage beantwortet: Die gewünschte Person sei vorübergehend nicht erreichbar. Die Fluggesellschaft bestätigte zwar, dass Luises Vater das Flugzeug bestiegen hatte und mit den übrigen Fluggästen um 10.35 Uhr in Newark gelandet war, aber danach verlor sich jede Spur von ihm. In dem Hotel, wo ein Zimmer für ihn reserviert war, kam er niemals an.
Luise hatte in den ersten Tagen kaum Notiz von Kurts Verschwinden genommen. Sie verbrachte ihre Zeit an der Kölner Uni, war mit der Vorbereitung eines Referats beschäftigt und blieb nach den Vorlesungen lange in der Bibliothek. In den Pausen saß sie mit einigen Kommilitonen, zwischen denen sie sich nach wie vor fremd fühlte, in der Cafeteria. Sie redeten über Politik, über die Bundestagswahl im September, und alle waren sich einig, nicht konservativ zu sein. Auch Luise teilte diese Meinung. Mit vierzehn war sie einmal vom Pförtner vor dem Tietjen’schen Firmengebäude aufgegriffen worden, um sechs Uhr morgens und mit einem Stapel Flugblätter in der Hand. Zusammen mit einem jungen Werkstudenten hatte sie gegen die Arbeitsbedingungen bei Tietjen und Söhne protestiert. Sie erzählte diese Episode der Cafeteria-Runde, ohne zu erwähnen, dass sie selbst die Tochter des Firmenleiters war. Alle lachten, ein Kommilitone klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, ein anderer bemerkte, es sei Zeit, sich wieder an die Arbeit zu setzen. Währenddessen gingen Nachrichten von ihrem Onkel und ihrer Mutter auf Luises Mailbox ein.
Es ist eine Frechheit, dass Kurt mich nicht auf dem Laufenden hält, schimpfte Werner am Telefon, als Luise ihn endlich am Abend des 14. Mai zurückrief. Ich habe mit ihm die Verträge ausgearbeitet, wir haben gemeinsam den Einstieg in den amerikanischen Markt vorbereitet, ich habe bis zum Umfallen gearbeitet, und von ihm kommt – nichts!
Luises Mutter nahm das Verschwinden ihres Mannes mit eisiger Gelassenheit zur Kenntnis. Dein Vater wird wissen, was er tut, meinte sie spitz. Er hat es immer gewusst. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass er den Kontakt zu uns abgebrochen hat. Morgen gibt es schlechte Presse, prophezeite Carola, sie sagte es am 15. Mai, sie sagte es am 16. und am 14. hatte sie es ebenfalls schon gesagt. In China ist er auch eine Woche länger geblieben, ohne uns Bescheid zu sagen, und ausgerechnet in der Woche hat sich die Presse auf ihn gestürzt. Nur gut, dass er damals in China war, nur gut, dass er jetzt in Amerika ist, es wird schlechte Presse geben, kündigte Carola an und zog ihre Augenbrauen hoch. Die schlechte Presse jedoch blieb
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