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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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Tresen der besten Frotteegeschäfte breitete Kurt seine Kollektion aus, er plauderte mit den Damen und machte auch den Herren Komplimente, er rauchte eine Zigarre mit Trumps Vize und spielte Minigolf mit einem Attaché des deutschen Konsulats. Seine Finger glitten über die gesammelten Visitenkarten, über die Tasten des Telefons, seine Stimme sang. Das Tietjen’sche Frottee-Imperium dehnte sich aus. Hatte Justus Tietjen, der Senior, das Frottee während des Krieges zur Leibgarde des Kaisers gemacht, so eroberte Kurt nun endlich die Welt.
    Das stellte sich Luise vor, während sie in ihrem Essener Elternhaus auf ihren Vater wartete. Vorübergehend war sie nach Hause zurückgekehrt, um ihrer Mutter beizustehen, ihre Mutter aber zog es vor, rund um die Uhr unterwegs zu sein. So saß Luise allein in dem großen Wohnzimmer, sah hinaus in den Garten, der grau vor dem Fenster verfiel. Das Haus verschluckte sie jeden Abend aufs Neue, so wie New York Kurt Tietjen verschluckt hatte, dieser Moloch aus Phantasien und Abgas, Glas, Asphalt und Hitze.
    Am 30. Mai trat Carolas Weissagung ein, und die Presse fiel über den abwesenden Kurt Tietjen her. Schmiergeld sei geflossen, so der Vorwurf der ersten Zeitung. Das zweite Blatt titelte: Vom Bewahrer zum Bestecher. Wie ein edler Erbe lernt, Geld zu machen. Unternehmensethik sei, so das Fazit, nirgends mehr vorhanden. Doch einem Unternehmer, der in den achtziger Jahren verzweifelt versucht habe, die schmutzigen Geschäfte seines Vaters aufzudecken, müsse dies doppelt angekreidet werden.
     
    Die Affäre, die das Haus Tietjen Ende der achtziger Jahre aus den Fugen gebracht hatte, war kein gewöhnlicher Skandal gewesen. Mit dem Gewöhnlichen hatte man sich im Hause Tietjen nie zufriedengegeben. Es war der Firmenerbe Kurt Tietjen selbst, der gegen seinen eigenen Vater vor Gericht zog. Luises Vater hatte seit je einflussreichen Menschen misstraut, er misstraute Reichtum, er misstraute jeder Form von Besitz, er misstraute Unternehmern, Vorstandschefs und Aufsichtsratsvorsitzenden, allen voran aber misstraute er der Firma Tietjen und Söhne. Seinem Misstrauen hatte er im Herbst 1989 Ausdruck verliehen und die Firma Tietjen wegen Subventionsbetrug verklagt.
    Der junge Tietjen gab sich ernst, still, mit einem feinen Humor, er wusste, was er wollte, und gerade das brachte ihm den Ruf ein, nicht gewissenhaft, sondern vielmehr gerissen zu sein. Vielleicht war es unmöglich für einen Menschen wie Kurt Tietjen, verstanden zu werden, da er den Habitus des Unternehmers nicht ablegen konnte. Zwar zeigte er Unterlagen vor, die beweisen sollten, wie und in welchem Ausmaß die Firma Zahlen gefälscht und öffentliche Gelder zu Unrecht bezogen hatte. Zwar trug er Korrespondenzen herbei, die nahelegten, dass es Absprachen zwischen der Tietjenführung und einem Landtagsabgeordneten im Finanzausschuss gegeben habe. Im Rahmen von struktur- und arbeitsmarktstabilisierenden Maßnahmen waren im Bereich Rhein-Ruhr Subventionen bewilligt worden. Bei der Beantragung dieser Maßnahmen hätte die Firma Tietjen allerdings unterschlagen, so der junge Tietjen, dass die betroffenen Stellen bereits nach Asien ausgelagert worden waren. Es waren Essener Arbeitsplätze subventioniert worden, die es überhaupt nicht mehr gab.
    All dies mochte so wirken, als wolle der Junior tatsächlich der Firma an den Kragen. Aber über kurz oder lang würde es sich als Augenwischerei herausstellen. Irgendeinen Vorteil, so mutmaßten Beobachter, würde diese Affäre der Firma Tietjen bringen. Die finanzielle Schieflage der Firma bot Anlass für erste Gerüchte. Der junge Tietjen würde einmal 45 Prozent der Anteile besitzen, er war von seinem Vater als Nachfolger in der Firma aufgestellt, die seit Jahren nur noch schwerfällig ihr Frottee an den Handel loswurde. Seit Jahren ließen die Konkurrenzunternehmen preisgünstig in Südostasien produzieren, an klapprigen Nähmaschinen, in Sälen aus stinkendem Licht, und nur die Sturheit des alten Tietjen hatte verhindert, rechtzeitig hinter den anderen herzuziehen. Die Firma Tietjen war erst dort angekommen, als die anderen Unternehmen sich bereits die besseren Verträge und Standorte gesichert hatten. Der Senior hatte sich in seinen letzten Jahren an der Firmenspitze in ein heillos überteuertes Produkt und immer rotere Zahlen verfangen, die er so gut versteckt hielt, dass es zweifelhaft war, ob er sie überhaupt selber noch kannte.
    Für Tietjen und Söhne trat neben dem Senior auch Werner

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