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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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kurzen Missverständnis erkannte er die Stimme seiner Tochter. Nie hatte er mit ihr auf Dienstreisen telefoniert, genau genommen hatte er überhaupt noch nie mit ihr telefoniert. Sie schien ebenfalls irritiert, dennoch blieb ihr Ton kühl und beherrscht. Sie sagte nur den einen Satz: Sein Leumund ginge vor die Hunde.
    Luise hatte wohl lediglich etwas aufgeschnappt und verstand nicht einmal ansatzweise, worum es bei der Angelegenheit ging, mit der sie ihn aus der Nacht riss. Herrn Liu gab es nicht, das wusste Kurt, und dennoch, so erfuhr er nun von seiner Tochter, hatte Herr Liu sich bemerkbar gemacht. Etwas in dem festgeschnürten Plan war losgerissen, Herr Liu tanzte vor den Augen aller im Freien herum, es war nur eine Frage der Zeit, bis jemandem auffiele, wie es um Herrn Lius Wirklichkeitszustand bestellt war. Alles drohte aufzufliegen.
    Kurt, der so genau um die Überweisung und Gelder und Herrn Liu nicht hatte wissen wollen, wusste allerdings, dass es vor allen anderen ihm, Kurt Tietjen, an den Kragen gehen würde. Er wusste, dass eigentlich sein Schwager ihn vom drohenden Skandal hätte unterrichten müssen und dass Werner wohl Gründe hatte, es ihm zu verschweigen. Vielleicht wollte er sich hinter Kurt verstecken, um nicht selbst ins Visier der Presse zu geraten. Kurt wollte ebenso wenig seinen Kopf für etwas hinhalten, für das er sich nicht verantwortlich fühlte. Er wollte genau genommen überhaupt nicht seinen Kopf hinhalten.
    Das beste Mittel, einer Situation zu entkommen, die außer Kontrolle geriet, war ein Ablenkungsmanöver. Kurt suchte die Visitenkarte von Gustav aus seiner Brieftasche heraus und wählte zwei Stunden später, kurz vor acht, die Nummer. Nach einer halben Minute kam er im deutschen Mobilnetz an. Gustav wohnte zwei Straßen weiter südlich in einem Hotelzimmer, dessen Wände aus Pappe sein mussten. Kurt hörte den Lärm auf der Straße lauter als die Sätze seines Gesprächspartners. Ihm sei ihre Unterhaltung im Flugzeug nicht mehr aus dem Kopf gegangen, erklärte Kurt. Ob es möglich sei, Gustav zu begleiten. Ein, zwei Tage. Er wolle mit eigenen Augen sehen, wie es in hiesigen Fabriken zugehe.
    Eine Pause trat ein. Kurt hörte Autos anfahren, ein elektrisches Brummen wurde stärker. Selbstverständlich, antwortete Gustav schließlich.
     
    Von Schanghai aus reisten sie ins Landesinnere, um eine Fabrik für Spielkonsolen zu besichtigen. Es war die erste Station auf der Liste des jungen Mannes, zwanzig weitere Firmennamen standen darunter, Namen aus der Elektro- und Textilindustrie. Gustav hatte drei Monate Zeit, um alle einundzwanzig Fabriken zu besichtigen und einen Bericht über sie zu verfassen. Kurt Tietjen hatte zwei Tage, und ihm genügte diese eine Fabrik. Ihn interessierte nicht, was genau in den Fabriken vor sich ging, er wollte nur, dass die deutschen Zeitungen einen Bericht über ihn schrieben, ehe sie sich Herrn Liu zuwendeten. Dazu genügte eine Fabrik.
    Er hätte sie nicht sehen dürfen. Es ist eben anders, dachte er. Es ist eben ungewohnt. Aber er wusste, dass das nicht das Problem war.
    Noch nach seiner Rückkehr würde er daran denken, durch die Zeitverschiebung entrückt, während er sein Arbeitszimmer kaum verließ, vor den weiß verschalten Heizkörpern saß, die er aufgedreht hatte, als wollte er das subtropische Klima wiederherstellen, vor dem er davongelaufen war. Jeder in seinem Bekanntenkreis fuhr hin und wieder nach Fernost oder hatte einen Bruder oder Neffen oder Schwager, der von Zeit zu Zeit dorthin fuhr, und alle verhielten sich, als wären sie lediglich nach München oder Rotterdam gereist, allein Kurt brauchte Tage, um zurückzufinden, ihm reichte es nicht, dass ihn die Lufthansa nach Düsseldorf geflogen hatte, er wähnte sich noch in einer Seitenstraße Schanghais, in einer Shoppingmall mit Teeräumen und blinkendem batteriebetriebenem Plastik, er sah immer noch die Fabrik vor sich und die entleerten Gesichter der Arbeiter, und er brabbelte vor sich hin, wie jemand, der die Welt verändern will und glaubt, einfach so lange weiterreden zu müssen, bis der Albtraum um ihn her aufhört.
    In die Fabrik für Spielkonsolen wäre er niemals hineingelassen worden. Selbst mit viel Überredungskunst wäre ihm höchstens eine Besichtigung erlaubt worden, die nichts von der Wirklichkeit zeigte. Er war mit Gustav gereist, der viele kannte, die wiederum viele kannten und am Ende, hatte Gustav ihm versprochen, kämen sie an ihr Ziel.
    Kurt wurde morgens um kurz nach

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