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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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man nach fünf Minuten vom Personal verscheucht wurde, um Platz für neue Kunden zu schaffen?
    Komm mich mal besuchen, sagte er. Wir könnten einen Kaffee zusammen trinken. Das heißt, wenn du willst.
    Ihr unerbittlich gleichgültiger Blick.
    Kurt sah der jungen Frau nach. Sie hatte noch die Schultern gezuckt, ehe sie gegangen war. Langsam setzte auch er sich in Bewegung, lief die Nassau Avenue hinunter, er wäre gern auf der Stelle nach Hause gefahren, aber es fuhr kein Taxi vorbei, nur die dunklen Mäuler der U-Bahn-Schächte öffneten sich vor ihm. Ein Obdachloser kauerte halb neben, halb über dem Geländer des Schachts, ihre Blicke trafen sich, einen Moment lang glaubte Kurt, die Augen wiederzuerkennen, dann fiel ihm auf, dass es nur seine eigene Spiegelung in diesen Augen war, die ihm vertraut vorkam. Der Blick des Mannes wirkte auf ihn nicht verzweifelt, der Rest der Person durchaus, aber der Blick nicht. Kurt stieg hinab. Der Lärm eines einfahrenden Zuges machte ihn benommen. Er hätte gern sein Bewusstsein verloren.
     
    Nach ihrer Begegnung vor der Wäscherei hörte Kurt nichts mehr von Fanny. Ihre Schritte im Treppenhaus waren verstummt, ebenso das Kläffen des Hundes hinter seiner Wand, es war, als sei die Wohnung neben seiner völlig verlassen. In diesen Tagen kam er wiederholt in Versuchung abzuhauen. Er schlief nicht oder nur so wenig, dass er es kaum wahrnahm. Um ihn her war es zu laut, zu kalt, die Kanalisation stank. Er kam in Versuchung, einfach unter der Brücke hindurchzugehen und in seiner alten Welt wiederaufzutauchen, in der es Restaurants gab, Hotels, Taxis, mit denen er zu seinen alten Bekannten fahren konnte, die in der First Avenue oder am Central Park wohnten.
    Er fühlte sie noch, die Finger der Damen, die nach ihm griffen. Immer gab es eine Abendgesellschaft oder ein sonntägliches Beieinandersein mit Apfelkuchen (echt deutsch). Sie stolzierten vor seinen Augen herum, mit Kuchentellern und Buffetbesteck, mit ondulierten Haaren, die von zu häufigem Färben längst zerfressen waren. Diese teuer gekleideten Mumien drückten zwischen ihren Skelettfingern seine Hand und beteuerten ihm, wie froh sie seien, dass er sie besuchen gekommen war. Auch ihre Sprache war zerfressen, ihr Englisch wirkte auswendig gelernt, und der deutsche Akzent lag noch in jedem ihrer Wörter. Wie leicht wäre es gewesen, sich zurücksinken zu lassen in ihre Arme, die kalt und sehnig waren und niemals mit etwas jenseits des Gowanus Expressway in Berührung kamen.
     
    Dieses Geräusch hatte er noch nie gehört, kurz und schrill, als würde jemand eine Nadel in die Wand stechen. Erst als es ein zweites Mal zustach, begriff er, dass es die Klingel war.
    Fanny Weidmann stand in einem gelben, ausgewaschenen Pullover vor ihm, die Haare frisch blondiert. Den Hund hatte sie nicht bei sich, dafür einen Brief. Per Einschreiben, sie habe ihn entgegengenommen.
    Es war eine Nachricht von Theo Wessner, seinem Anwalt. Kurt trat einen Schritt zur Seite, bat sie herein, wies auf einen Platz am Küchentresen, während er auf dem Schreibtisch nach einem Brieföffner suchte, aber auf dem Schreibtisch war nichts außer einem zerschrammten Bleistift, zwei Werbekugelschreibern und seinem Montblanc-Füller, der dazwischengeraten war. Mit dem Bleistift riss er den Umschlag auf und zog den Brief heraus.
    Als er sich umwandte, wartete Fanny noch immer auf der Türschwelle. Hatte er etwas falsch gemacht? Kurt Tietjen verstand die Gepflogenheiten in diesem Haus nicht, die möglicherweise daraus bestanden, dass es keine Gepflogenheiten gab. Auch das musste man erst lernen.
    Sie solle doch bitte eintreten, sagte er. Da war er wieder, Kurt Tietjen, der Chef. Er schüttelte den Kopf, als wolle er die Erinnerung an etwas abschütteln, und blickte auf das Blatt in seinen Händen.
     
    Lieber Kurt,
    nach eingehender Prüfung der Unterlagen kann ich Dir mitteilen, dass Du, wie mir scheint, fürs Erste auf der sicheren Seite stehst. Dennoch: Es wäre wichtig, dass wir sprechen. Werner war diese Woche zwei Mal bei mir. Es geht um die Firma. Ruf mich an. Wenn möglich, bald.
    Aus Essen grüßt Dich
    Dein T.
     
    Kurt verkrampfte sich innerlich. Er wehrte sich, wie ein Pferd sich gegen das Anlegen des Zaumzeugs wehrt, aber es half nichts, Essen lag wieder vor ihm, was konnte schon helfen, wenn sechstausend Kilometer nicht halfen, eine andere Sprache, ein anderer Kontinent. Wann immer Kurt an Essen dachte, kam die Stadt ihm diesig vor, manchmal lag sogar

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