Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
starrte verbissen zurück. Er hatte es bis auf die andere Seite der Welt geschafft, und dort gaben ihm selbst Kleinkinder zu verstehen, dass er unerwünscht war.
Er bog in eine Seitenstraße ab. Die Häuser waren niedrig und so windschief, dass Kurt Zweifel bekam, ob der rechte Winkel schon erfunden worden war. In einem verrosteten Vehikel war ein Wok eingelassen, Hefeklöße quollen darin, der Koch winkte ihm und wollte, dass er welche davon kaufte. Kurt bog um eine weitere Ecke und um noch eine, die Häuser wurden, so glaubte er, niedriger, schiefer, und in den Waschbecken, die vor den Häusern aus kariösen Ziegeln gebaut waren, schwammen Fische. Kurt Tietjen wusste nicht mehr, wo er sich befand. Kurz bedauerte er, dass er keinen Stift und kein Papier bei sich hatte, um einen Abschiedsbrief zu schreiben. Er glaubte, nie wieder aus dieser Fremde aufzutauchen, und der Gedanke machte ihn gleichmütig. Die Exaktheit eines deutschen Verwaltungsgebäudes konnte er sich nicht mehr vorstellen. Die grau und kantig gegen das Licht stehenden Fensterfronten, das pedantische Innere, die verchromten Fahrstühle. Das alles hatte nie existiert. Die Menschen betrachteten ihn hier nicht feindselig, sondern beharrlich. Der dicke Dunst einer weiteren Wokstation umnebelte ihn. Er sah an sich hinunter, aber er konnte sich nicht ins Gesicht sehen.
Er bog erneut ab und stand plötzlich vor der hohen, rechtwinkligen Filiale einer Supermarktkette. Er war wieder in der Großstadt. Er hätte nicht sagen können, wie er aus der einen Welt in die andere gewechselt war. Er lief verwirrt ein Stück die Straße hinab, hielt ein Taxi an, reichte dem Fahrer die Adresse des Hotels und lehnte sich zurück.
Nach jenem Abend im Restaurant wusste er nicht mehr, ob ihn China umgab oder nur sein Bild von China. Der Himmel war ein weißes Loch. Der Baulärm hing überall in der Stadt. Die nächtlichen Gespräche auf dem Flur klangen harsch, wie Razzien oder Festnahmen. Frühmorgens die lauten Schläge gegen die Tür nebenan. Drei Tage musste Kurt Tietjen warten, bis ihn ein Zug nach Schanghai zurückbrachte. Es konnte sein, dass er in einem Schaufenster ein aufgeschlitztes Schwein gesehen hatte, hellrot und grinsend. Es konnte ebenso gut nicht sein.
XIV
Sie kommen an und sehen nichts von der Stadt, Luise, Sie sehen einfach durch sie hindurch.
Wenige Tage vor Luises Asienreise trafen sie sich zu einem jener Abendessen im Essener Hof, bei dem zwischen den Gängen die Einflussbereiche der Stadt abgesteckt wurden. Luise saß neben einem Bekannten von Werner, der für einige Tage aus New York angereist war, Kiesbert, ihr solltet euch unterhalten, hatte Werner in seiner jovialen, aber bestimmenden Art gesagt, und Luise hatte sich neben seinen alten Freund gesetzt, dessen Atem nach Vergorenem roch.
Wenn Sie nur drei Tage fahren, sollten Sie sich die Stadt gar nicht erst ansehen, das verwirrt nur. Sehen Sie einfach durch alles hindurch, und wenn Sie im Taxi fahren, sehen Sie nicht aus dem Fenster, am besten, Sie dösen ein wenig, dann kommen Sie auch mit der Zeitumstellung besser zurecht.
Väterlich klopfte er ihr auf die Schulter, in seinem Blick war kein Begehren, eher Wohlwollen, er schien ihr sagen zu wollen: Sie machen das schon, oder mehr noch: Passen Sie auf sich auf. Alles an ihm war väterlich, seine Ruhe, sein Appetit, seine Allwissenheit, sein Mundgeruch, sein Leibesumfang.
Der Kellner, den Werner seit Jahren kannte, brachte ihnen den üblichen Wein. Sie lebten in einer Welt, in der alles möglich war, und sie konnten diese Welt einfach gegen eine andere eintauschen, wenn sie ihnen nicht mehr gefiel, so jedenfalls fühlten sie sich, so fühlte sich Werner, so hatte sich auch Kurt, auf seine Art, gefühlt. Und dann betrat, eine Stunde und zwei Gänge später, Krays das Restaurant.
Er setzte sich nicht, sondern blieb vor ihnen stehen, beugte sich vor, die Fäuste auf den Tisch gestützt, er sprach hastig und ließ Luise dabei nicht aus den Augen. Gerade habe er mit seinem Bekannten Winter gesprochen, erklärte Krays. Die Organisation Kleider ohne Not plane eine Kampagne gegen die deutsche Frottee-Industrie, und neben Schermerhorn und der BFAG hätten sie auch Tietjen und Söhne im Visier. Nicht bloß eine kleine Demo, sagte Krays. Plakate, Anzeigen, Petitionen. Am liebsten würden sie uns ganz verbieten.
Aber Krays, beruhigen Sie sich, rief Werner. Was sind das denn für Leute? Die haben doch keinen Einfluss. Das sind Studenten, die es in
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