Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
seiner Linken Beton, solide, endlos. Unten, im Schotter, flackerte ein Kerzenlicht, dahinter lag eine Obdachlosenkolonie, erbaut aus Plastiksäcken und Pappe. Er hörte ein Scharren, bemühte sich, keine Geräusche zu machen.
Eine Gestalt in Schwarz hob sich vor dem grauen Betongrund ab, Kurt wusste nicht, woher sie kam, sie war aus dem Nichts aufgestiegen. Ihm war, als bewege sich all der Dreck, der sich unter der Stadt angesammelt hatte, langsam auf ihn zu. Kurt stand da, wagte nicht, sich zu rühren, er würde nicht heil davonkommen, dachte er. Hatte er das verdient? Die Gestalt näherte sich ihm. Kurt roch das Laub, das in den Rinnen moderte, die Feuchtigkeit, er roch das zerschlissene Plastik der Tragetaschen, aus denen die Behausungen gebaut waren, roch den ungewaschenen Stoff eines Wintermantels, er roch all das, auch wenn es möglicherweise nicht zu riechen war, er hätte ein Taxi nehmen sollen, dachte er.
Eine Hand griff ihn am Ärmel, er wollte sich wehren, aber er spürte keinen Widerstand in sich, die Hand riss an ihm, sie würde ihn mit sich zerren, in den Spalt hinein. Dort würde es vorbei sein, dachte Kurt, da unten würde ihn niemand finden, wer suchte schon nach einem Tietjen in einer Pennerkolonie. Vorbei. Endgültig vorbei.
XVI
Die Augusthitze stach durch die Fenster der Firma Tietjen. In zehn Minuten brach die Mittagspause an, aber man hielt besser durch. Es wurde nicht gern gesehen, wenn Arbeit liegenblieb. Luise Tietjen entließ die Mitarbeiter mit einem Fingerschnippen und einem Lächeln im Gesicht. Christina Heller reckte sich, ihr Kreuz schmerzte, die Akten auf ihrem Tisch waren nicht einmal zur Hälfte bearbeitet, sie war langsam, das wusste sie, früher hatte sie es nicht einmal bemerkt, und jetzt hatte sie Angst vor sich selbst, vor ihrer Langsamkeit, gegen die sie nicht ankam, schon gar nicht bei dieser Hitze. Sie beugte sich vor, das Thermometer zeigte 26 Grad, unmöglich, es musste wärmer sein. Die Uhr an der Wand sprang auf zwölf. Man ging besser nicht in die Mittagspause.
Ines Leuschner blieb vor Christinas Schreibtisch stehen. Frau Heller?
Christina reckte sich, sie versuchte, den Rücken durchzustrecken und zu lächeln, hielt sich dabei an der Tischkante fest.
Frau Tietjen wünscht Sie in ihrem Büro zu sehen.
Der Fahrstuhl fuhr viel zu langsam, Christina Heller meinte, keinen Sauerstoff zu bekommen. Ihre Haut fühlte sich taub an. In der dritten Etage stieg ihr Kollege Stefan Baum ein.
Vierter Stock, Christina?
Zur Kaiserin, antwortete sie.
Um diese Uhrzeit? Da kannst du dich auf was gefasst machen.
Christina Heller starrte ausdruckslos auf den Alarmknopf vor ihr.
Am Anfang wirkte Frau Tietjen so verständnisvoll, sagte sie leise.
Ach, verständnisvoll! Sie wollte uns doch nur auf den Prüfstand stellen, meinte ihr Kollege. Deshalb hat sie uns ausgefragt.
Der Fahrstuhl hielt, er klopfte Christina auf die Schulter. Alles Gute, sagte er und eilte davon.
Auf dem Flur wäre Christina Heller beinah mit dem Potemkin zusammengestoßen, der gerade das Büro der Kaiserin verließ. Er nickte ihr zu. Frau Heller.
Herr Krays.
Luise Tietjen wurde von der Sonne beschienen, eine blendende Aureole umgab ihr hochgestecktes Haar. Das Licht überflutete den Schreibtisch, fiel auf Kopierer, Aktenschrank und Stuhl, fraß sich durch das gesamte Zimmer, bis in die hinterste Ecke hinein. Dennoch war es kalt in dem Büro, eisig, die Klimaanlage rauschte.
Es ist alles eine Frage der Motivation, Frau Heller. Da stimmen Sie mir doch zu?
Luise wies mit der Hand auf den Besucherstuhl, Christina Heller setzte sich.
Diese Zahlen, mit denen ich Sie vergangene Woche betraut habe, erinnern Sie sich? Ich meine, dass ich Ihnen etwas dazu gesagt habe. Diese Zahlen waren für den internen Gebrauch bestimmt. Ich wiederhole: Sie waren strengstens nur für eine kleine Gruppe von Personen bestimmt. Herrn von Weiden gehen diese Zahlen nichts an und meinen Onkel nur bedingt. Ich wollte nicht Herrn Rehlein dabeihaben, nicht Serner, nicht Bentsch. Und schon gar nicht den gesamten BDI. Und Sie, was machen Sie? Was um Himmels willen ist in Sie gefahren? Sie schicken diese Zahlen offen herum. Wissen Sie, was Sie da angerichtet haben?
Christina Heller hielt sich an der Tischkante fest.
Sie haben uns lächerlich gemacht, Sie haben uns vor dem gesamten BDI lächerlich gemacht.
Kurz war Christina Heller beeindruckt, sie hatte nicht geahnt, dass derlei in ihrer Macht stand.
Frau Heller, wir sind kein
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