Gesetz der Lust
Marc nahm ihre Hand und zog sie mit sich.
Bei einer alten Frau, die mit ihren arthritischen Fingern Spitze klöppelte, die so zart war wie Spinngewebe, blieben sie stehen. Tory hätte gern etwas gekauft, doch Marc zog sie weiter.
Sie waren schon ein Stück gegangen, als Marc sie bat, einen Augenblick zu warten, und dann in der Menge verschwand. Kurz darauf kam er zurück, mit einem hauchzarten Schal, den er der alten Frau abgekauft hatte.
Torys Augen leuchteten. “O Marc, danke. Er ist wunderschön.”
“Leg ihn über deinen Arm”, meinte er. “Er wird helfen, deinen Gipsverband zu verbergen.”
Tory legte den Schal über ihren Arm. Was hatte sie denn erwartet? Dass er ihr ein Geschenk kaufte, weil ihm etwas an ihr lag? Sie sollte sich besser auf das konzentrieren, weshalb sie hier war – um ihren Bruder zu retten.
Alex, wo bist du? dachte sie verzweifelt und schob sich hinter Marc durch die Menschenmenge.
Marc kaufte ein großes Stück Kokosnuss, und sie aßen davon, während sie über die Piazza und durch die engen Straßen schlenderten. Die Straßen waren schattig und kühl, weil die Häuser so eng aneinanderstanden. An einem Brunnen wusch Tory sich die Hände.
Marc betrachtete sie und schalt sich selbst. Er hatte nicht widerstehen können, ihr den Schal zu kaufen. Ihre Augen hatten aufgeleuchtet, als er ihn ihr reichte. Aber verdammt, sie durfte nicht glauben, sie seien auf einem kleinen Urlaubstrip.
Das Leben eines seiner besten Agenten hing an einem seidenen Faden. Wenn sie Lynx nicht bald fanden, konnte es zu spät sein.
Victoria wischte sich die Hände an ihren Leggings ab und kam auf ihn zu. Nach ein paar Schritten blieb sie plötzlich stehen und hob den Kopf. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.
Er machte einen Schritt auf sie zu, hielt dann jedoch inne. “Victoria? Was ist los?” Ihre Augen waren glasig, sie blickte an ihm vorbei. Gerade wollte er sie schütteln, als ihm klar wurde, was passiert war.
Victoria hatte ihren Bruder gefunden.
Sie stand wie erstarrt, und Marc fürchtete sich, sie zu berühren. Schnell blickte er die Straße entlang, doch niemand war zu sehen.
Wie gern hätte er sie jetzt in seine Arme genommen, hätte sie getröstet, doch er ballte die Hände zu Fäusten und hielt sich zurück.
Sie machte ihn schwach, zu einer Zeit, in der er sich keinen Fehler leisten durfte. Seit Krista hatte er mit keinem Partner mehr zusammengearbeitet, und Krista war eine erfahrene Agentin gewesen. Victoria war Zivilistin, er hatte sie nur mitgebracht, um Lynx so schnell wie möglich zu finden.
Doch er hatte sich mit seinen Gefühlen für sie verrechnet. Wenn es reine Lust gewesen wäre, er hätte damit umgehen können. Doch leider war das nicht der Fall.
Victoria brachte eine Zärtlichkeit in ihm zum Vorschein, die er bisher nie gekannt hatte. Sie war ihm unter die Haut gegangen, hatte geheime Wünsche in ihm angerührt, die er schon lange vergessen zu haben glaubte.
Er lehnte sich gegen die Hauswand und blickte sich aufmerksam um. Hoffentlich erwachte sie bald aus ihrer Trance, und er konnte sie in die Grotte zurückbringen. Der Stand der Sonne sagte ihm, dass schon viel Zeit vergangen war, seit sie in die Stadt gekommen waren.
Er streckte die Hand nach ihr aus, als sie aus ihrer Erstarrung erwachte. “Ist alles in Ordnung?”
Victoria griff nach seiner Hand, und Marc zog sie in die Arme. Sie drückte ihr Gesicht an seine Brust, und er konnte ihre Tränen fühlen. Sie weinte leise, ihr Körper bewegte sich nicht.
Schließlich legte er einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht hoch. “Du darfst jetzt nicht zusammenbrechen. Hörst du mich, Victoria? Du darfst nicht, Prinzessin.” Er verhärtete sich vor dem tränenfeuchten Blick, mit dem sie ihn ansah. “Sag mir, wo und wie, und dann geh zu unserem Lager zurück.”
Sie schluckte mehrmals und wischte sich dann die Tränen von den Wangen. “Er ist im Palazzo Visconti.” Sie trat wieder zu dem Brunnen, schöpfte etwas Wasser mit der Hand und benetzte damit ihr Gesicht. “Nur ein Mann bewacht ihn, aber mehr als zwanzig sind oben im Palast.”
Marc runzelte die Stirn. “Oben? Soll das heißen …”
“Ich glaube, Alex sagte Kerker …” Tory sah zu ihm auf. “Ich habe ihn sicher nicht richtig verstanden.”
“Ich fürchte doch, Prinzessin.” Marc blickte grimmig. “Der Palazzo Visconti ist um das Jahr 1400 erbaut worden, mit einem Burggraben und einem Kerker. Weißt du sonst noch etwas?”
Victoria versuchte
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