Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
gehört, weil sie mich für wichtig hielten, und das hatte ihnen vielleicht das Leben gerettet. Ich konnte ihnen die Illusion nicht mehr nehmen.
Ich verstand, dass die Chicagoer jemanden brauchten, dem sie die Verantwortung aufladen konnten. Aber wir hatten die Tunnel als Letzte verlassen, wir hatten mit ihnen geschwitzt und geblutet. Zählte das denn gar nicht?
Neben mir kochte Chase vor Wut, und das unverständliche Gemurmel der Überlebenden wurde lauter.
Truck, der hinausgegangen war, um nach dem Fahrzeug zu sehen, kam zurück und löste die Spannung mit dem ihm eigenen Zahnlückengrinsen.
»Harrt aus, meine Damen«, sagte er, »der Checkpoint-Express fährt jetzt ab. Ich komme so schnell wie möglich zurück und hole den Rest von euch.«
Gemeinschaftliches Stöhnen. Mindestens die Hälfte der Leute musste warten, und einige davon waren schwer verwundet.
»Ich bleibe.«
Alle Augen, meine eingeschlossen, richteten sich auf Tucker.
»Ich werde euch nicht länger im Weg stehen«, fuhr er fort. »Wenn die vorhatten, den Sniper auszuräuchern, wie der Junge gesagt hat, dann bringen wir den Konvoi nur noch mehr in Gefahr. Ich bleibe hier und lenke sie von euch ab.«
Was für ein Held, dachte ich.
»Wir bleiben alle«, verkündete Chase und behielt dabei wachsam seinen Ex-Partner im Auge. »Wir sind hergekommen, um jemanden zu holen. Ohne sie gehen wir hier nicht weg.«
Das Herz pochte in meiner Brust, und neben mir atmete Sean hörbar auf.
Die erste Ladung machte sich auf den Weg zum Checkpoint von Indiana, und obwohl ich aus freien Stücken beschlossen hatte zu bleiben, war ich außerstande, ihnen bei der Abreise zuzusehen. Zum ersten Mal, seit ich die Wahrheit über meine Mutter erfahren hatte, wollte ich zur Küste. Wollte ich einfach nur noch Frieden.
In Trucks Abwesenheit machte sich unter uns eine bittere Erwartungshaltung breit, die immer schwerer auf uns lastete, bis endlich jemand einen Witz über einen Kerl namens Stripes riss, der gebrüllt hatte wie ein Baby, als die Bomben hochgegangen waren.
»Wenn ihr das hier für schlimm haltet«, erwiderte ein kahlköpfiger Mann mit einem Ziegenbart, »dann hättet ihr das Gerenne zu den Ausgängen in Boston erleben sollen. Da hätte man glauben können, seine Stiefel hätten gebrannt.«
Nervöses Kichern.
Nun bedachten sie einander mit Mädchennamen. Sally. Mary. Und sie lachten über die, die sich in die Hose gemacht hatten, und die, die die Nerven verloren hatten. Es war sexistisch und krass, aber das kümmerte mich gar nicht. Man tat eben, was man konnte, um die Fassung zu wahren.
Ich dachte daran, wie Jack nach der Explosion in den Tunneln gelacht hatte, und überlegte, ob er recht hatte. Wenn es wirklich schlimm wurde, wenn das Entsetzen nicht mehr zu überbieten war, dann wurde sogar die Gewalt wieder witzig. Einen Sinn musste das nicht haben.
Wir gingen unsere Vorräte durch, aßen gerettete Rationen Cracker und Dosenhackfleisch und warteten auf den Schutz der Dunkelheit, um uns zu Rebeccas Rehazentrum zu schleichen. Nachdem wir beschlossen hatten zu bleiben, verschonten uns die anderen mit weiteren Anschuldigungen und rüsteten uns mit Tarnkleidung, Rationen und zwei Handfeuerwaffen aus. Der Junge aus dem Vorratsraum, der immer noch voller Staub und Schweiß war, näherte sich mir schüchtern und überreichte mir eine Schwesternuniform, die er aus dem Lager mitgenommen hatte.
»Dachte, du brauchst das vielleicht noch mal«, sagte er mit hoffnungsvoller Miene.
Ich bedankte mich schuldbewusst, wohl wissend, dass es viel zu spät war, um noch irgendetwas richtigzustellen.
Zwei Wasserfässer waren aus Platzgründen aus dem Truck in unsere temporäre Zuflucht gebracht worden, und da das Wasser zu schmutzig zum Trinken war, benutzten wir es dazu, uns den Schmutz und das Blut abzuwaschen.
Während ich in der Schlange stand, zog Chase’ Gegenwart meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich sah mich zu der Stelle um, an der er und Sean abseits von den anderen beisammenstanden. An der Wand, hinter einem zerfaserten Vorhang aus grauem Dämmstoff, berieten sie sich. Zwar konnte ich nicht hören, was gesprochen wurde, aber Sean gestikulierte lebhaft, als versuchte er, etwas vehement zu verdeutlichen, und die Neugier trieb mich dazu, meinen Platz in der Reihe aufzugeben, um nachzusehen, warum Chase die Schultern abwehrend vorgebeugt hatte und mit dem Daumen auf seine Hüfte klopfte. Ehe ich die beiden erreicht hatte, brach Chase das Gespräch ab und
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