Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
Sekundenlang hörten wir das Knirschen und Kreischen des Waggons mit den medizinischen Vorräten, dann wurde es von dem Geröll verschluckt; plötzlich blockierte die zugeknallte Metalltür den Blick auf den Tunnel. Tucker, blass und mit panisch verzerrten Zügen, geriet ins Stolpern.
Im Gang war es feucht und dunkel, und meine Augen tränten von den beißenden Benzindämpfen. Ich erinnerte mich an die Flammen an der Einsturzstelle; vermutlich stammten sie von diversen Gasleitungslecks. Als dann schließlich die Tunnel einstürzten, fühlte sich die Luft in meiner Lunge dick an, beinahe, als könnte ich sie mit Händen greifen.
»Augen aufhalten!«, schrie Truck und rannte weiter.
Er verschwand durch eine Tür am anderen Ende des Gangs. Dahinter lag ein Treppenaufgang. Wir kletterten fünf Stockwerke nach oben und gelangten in einen Raum voller rostiger Rohre und Spinnweben, so groß wie ausgewachsene Männer. Ratten huschten über den Boden. Zum ersten Mal in meinem Leben war mir ihr Anblick willkommen: Er verriet mir, dass wir in die Richtung der Lebenden rannten. Unter uns war Ruhe eingekehrt, und obwohl wir wussten, dass das nicht lange so bleiben würde, erzitterte die Luft unter dem kollektiven Aufatmen.
Jenseits des Raums erwartete uns ein alter Damenwaschraum von der Art, wie ich sie aus den Kaufhäusern kannte, die wir besucht hatten, als ich noch ein Kind gewesen war.
»Kein Witz«, kommentierte Tucker mit einem brüchigen Lachen. »Mein größter Albtraum in der Highschool war, versehentlich in die Mädchentoilette zu laufen.«
Chase’ Hand schob sich in meinen Nacken. »Alles in Ordnung?« Er atmete schwer.
Ich nickte, ehe ich ihn und Sean auf der Suche nach Verletzungen von Kopf bis Fuß musterte.
»Wo sind wir?«, fragte Tucker.
»In der Nähe des Sees. Auf der dunklen Seite der Stadt – hier gibt es keinen Standardstrom«, sagte Truck. »Hierher kommt das FBR nicht. Die größte Gefahr für uns ist hier eine Überflutung.«
»Die Dämme wurden nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut«, erklärte uns Chase, als er unsere verwirrten Mienen bemerkte.
Als Chicago bombardiert worden war, waren die Flutmauern zerstört worden, woraufhin die Küste des Lake Michigan einen Block weiter stadteinwärts gewandert war. Die eingestürzten Gebäude hatten den Wasserspiegel noch weiter ansteigen lassen. Einmal hatte ich in einer Nachrichtensendung gesehen, wie die Möbel einer Frau von der Strömung fortgespült worden waren.
Truck führte uns in einen offenen Eingangsbereich, in dem sich auf der linken Seite des geborstenen Fliesenbodens bereits mindestens dreißig Leute drängten. Die Decke auf der rechten Seite war halb eingestürzt. Zerrissene Kabel, gesplitterte Leuchtstoffröhren und Dämmstoffflusen hingen über dem feuchten Boden.
Ich hatte gedacht, im Untergrund sähe es schlimm aus, aber in der Eile hatte ich vorübergehend vergessen, was der Krieg dem oberen Teil der Stadt angetan hatte.
Die Sperrstunde war gerade vorbei; mir war, als könnte ich endlich wieder atmen, als die gedämpften Farben und Schatten dank der Risse in der Decke wieder unterscheidbar waren. Sollte ich nie wieder in den Untergrund zurückgehen, wäre mir das durchaus recht.
Der Sanitäter sichtete die Verwundeten, um festzustellen, wer zuerst der Versorgung bedurfte, und gab die Liste Jack, der die Leute in einen Nachschublaster des FBR verfrachtete. Wie es aussah, war er wieder bei sich, aber nun schien es, als wäre er zu verlegen, mir in die Augen zu sehen.
»Was machen die hier?«
Ich erstarrte. Mein Blick fiel auf den Jungen, der unter dem Rohr eingeklemmt gewesen war. Eine Wolldecke war um sein Bein gewickelt und mit Gummiseilen festgebunden worden, und er kauerte wie ein unverkennbarer Nutznießer von Morfin an der hinteren Wand.
»Halt die Klappe«, grollte Jack. »Sie wurden nicht verfolgt.«
Also hatte der Junge diese Anschuldigung nicht zum ersten Mal vorgebracht. Ich hoffte, dass die anderen nicht so dachten wie er.
»Du meinst, wir wären für das hier verantwortlich?«, fragte Sean.
»Komischer Zufall«, lallte der Junge. »Der Sniper taucht auf, und die jagen unsere Tunnel in die Luft.«
»Wir hätten dieses Rohr nicht von deinem Bein rollen müssen, weißt du?« In diesem Moment hätte ich am liebsten alles gestanden, ihnen erzählt, dass nicht ich, sondern Cara die Heckenschützin war, und dass sie nun tot war und es keinen Sniper mehr gab. Aber diese Leute in den Tunneln hatten auf mich
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