Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
blieb er stehen, nahe genug, dass ich seine Wärme spüren konnte. Fühlen konnte, wie seine Augen über mein Spiegelbild im Fenster wanderten, intimer, als eine Berührung je sein konnte.
Er schüttelte den Kopf und sah sich zu dem Tisch um, als wüsste er gar nicht, wie er hierhergekommen war. Dann schluckte er. Fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Versuchte, ein verlegenes Lächeln hinter einer ernsten Miene zu verbergen.
»Bist du besonders aufmerksam oder versuchst du nur, mich abzulenken?«
»Ich versuche, dich abzulenken«, sagte ich. »Offensichtlich.«
Seine Belustigung wurde deutlicher, nur um gleich darauf zu verblassen. Beklommen wartete ich auf seinen nächsten Zug. Der erfolgte langsam: Zögerlich fanden seine Fingerspitzen mein Kinn, strichen über den Nacken zu meiner Kehle und weiter bis zu meinem Schlüsselbein, und ich nahm nichts mehr wahr außer diesem Gefühl.
»Wie ich mich erinnere, hast du es gemocht, da geküsst zu werden«, sagte er mit belegter Stimme. »Ist das immer noch so?«
Ich musste mich konzentrieren, um ihm zu antworten.
»Ich weiß es nicht«, wisperte ich. »Seit dir hat es niemand getan.«
Im Spiegelbild sah ich, wie sich seine Lippen leicht öffneten. Mein Herz pochte so laut, dass ich mich fragte, ob er es auch hören konnte. Ob er wusste, dass es so nur für ihn schlug und für niemanden sonst.
Er beugte sich vor. Seine Nasenspitze strich über mein Ohrläppchen. Dann sank sein Kopf tiefer, bis seine Lippen die Stelle gefunden hatten, seine Stelle, die, bei der ich schwache Knie bekam und mein ganzer Körper zu zittern anfing.
Langsam drehte er mich um. Finger woben sich in mein Haar. Er kam näher, bis wir die gleiche Luft atmeten. Seine Lippen waren warm und weich und voller Zurückhaltung, aber während die Sekunden ineinander übergingen, zog er mich fester an sich und sein Mund wurde drängender, heißer Atem, knabbernde Zähne, das Gefühl, seine Unterlippe zwischen meinen Lippen zu halten. Er fühlte es so wie ich. Die Augenblicke, die vergingen, die uns auseinanderrissen, und wenn wir einander nicht festhielten, würde das Schicksal uns besiegen, uns trennen, und wir hätten einander für immer verloren.
Seine großen, schwieligen Hände umfassten meine Rippen, zupften die derbe Bluse aus dem Bund und glitten sanft hinab zu meinen Hüften. Jede Stelle, die er berührte, überzog sich mit einer Gänsehaut und glühte zugleich vor Hitze. Vergiss das nie, nahm ich mir im Stillen vor. Wie sich seine Hände gerade jetzt anfühlen. Vergiss nie auch nur eine Sekunde mit ihm.
Unser Atem ging ruckartig. Ich packte den Saum der Bluse und zog sie mir über den Kopf, wartete auf das Gefühl der Beklommenheit, das Gefühl, zu mager oder zu uninteressant zu sein, aber seine Lippen öffneten sich und seine Augen wurden groß und rund, und all diese Gedanken lösten sich in Luft auf. Seine Fingerspitze glitt unter meinen Rockbund, strich über meinen Bauch, und ich griff nach den runden Holzknöpfen seiner Segeltuchjacke, getrieben von einem unstillbaren Durst nach seiner Nähe. Als meine verletzte Hand es mir schwer machte, versuchte er, mir zu helfen, aber unsere nervösen Finger versagten, und wir lachten gemeinsam über unsere Unbeholfenheit.
Dann trat ich einen Schritt zurück und legte seine Jacke auf den Boden, breitete sie aus wie eine Decke. Er sah mir zu. Nun erkannte er meine Absichten.
Erst reagierte er gar nicht, doch dann nickte er einmal, als fehlten ihm die Worte.
Ich setzte mich auf unsere Kleider, und er kniete sich vor mich und umfasste mein Gesicht mit den Händen. Seine Daumen strichen sanft über meine Wangenknochen. Das ist es, dachte ich und schluckte. Und dieses Mal musste ich mich nicht ermahnen, es nicht zu vergessen, denn ich wusste ohne jeden Zweifel, dass ich es nie vergessen würde.
Doch sein Blick wanderte über meine nackte Schulter zum Boden und zu seiner Jacke, und er legte die Stirn in Falten.
Mit einem Arm bedeckte ich meine Brust. »Was ist los?«
»Ist das okay?« Die Verletzlichkeit in seinen Augen erschreckte mich, und mir wurde klar, dass er nicht wissen wollte, ob ich mit diesem staubigen Raum einverstanden war, sondern ob ich es mit ihm war.
»Ja.«
Für einen Moment sagte er nichts. Dann blinzelte er. »Und du wirst nicht irgendwann bedauern …«
»Nein.« Ich senkte den Blick.
Er zögerte. »Ich habe schon so viel vermasselt. Wenn du es dir anders …«
»Werde ich nicht.«
Er seufzte mit zusammengebissenen
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