Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
Zähnen. »Das sagst du jetzt.« Aber da beugte er sich schon über mich, strich mir das Haar aus der Stirn und fuhr mit den Fingerspitzen an meinem Kinn entlang.
»Das weiß ich«, flüsterte ich. »Das könnte unsere einzige Chance sein.«
Abrupt hielt er inne. »Was?«
»Nichts«, sagte ich hastig.
Er setzte sich auf. »Was meinst du damit?«
Ich zog mir seine Jacke über die Schultern. Plötzlich fühlte ich mich furchtbar schutzlos.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit, falls … du weißt schon. Falls morgen irgendwas passiert.«
Ihm blieb der Mund offen stehen. »Du hast nicht vor, zurückzukommen.«
»Doch. Ich meine, ich will zurückkommen.« Als wäre sterben eine Alternative. Ich starrte meine Füße an. »Hast du gar nicht darüber nachgedacht?«
Er sprang auf und ging auf und ab, und ich blieb allein auf dem Boden zurück.
»Natürlich habe ich darüber nachgedacht«, sagte er heiser.
»Warum reagierst du dann so?«
»Ich werde dich finden. Sollte irgendwas schiefgehen, werde ich dich finden. Wir schaffen das. Wir gehen nach South Carolina.« In seinem Ton offenbarte sich ein so verzweifelter Drang, diese Wahrheit zu glauben, dass ich wusste, sie war brüchig genug, jederzeit in Stücke zu springen.
»Und wenn nicht?«
»Wir werden es schaffen!«, brüllte er. Instinktiv drückte ich den Rücken durch. Er schnappte derweil nach Luft und rang um seine Fassung.
»Du gehst nicht.«
»Chase …«
» Du glaubst ja nicht mal, dass du es überleben wirst! Was habe ich mir nur gedacht!«
Ich richtete mich so hoch wie möglich auf. Tränen stiegen mir in die Augen, und mein Herz brach. Ich konnte spüren, wie es in mir entzweiging. Er wusste, er musste wissen, wie sich das anfühlte, dieses aus Schuld entstandene Loch in meinem Inneren.
»Du hast dir gedacht, wenn du etwas ändern könntest, würdest du es tun«, sagte ich.
Der Geist meiner Mutter erfüllte den Raum. Ohne Schuldzuweisung, ohne Vorwürfe, aber er war da.
Plötzlich blieb Chase stehen und starrte zum Fenster hinaus, aber nicht zu der Einrichtung gegenüber, sondern weiter die Straße hinunter zu den Baracken, in denen er gelebt hatte, als wir getrennt waren.
Eine Minute verging. Dann zwei.
»Ich würde alles dafür geben, könnte ich sie zurückholen«, murmelte er.
»Ich liebe dich.«
Die Worte waren heraus, ehe ich auch nur daran gedacht hatte, sie auszusprechen, hervorgebracht von einer Macht, die sich meiner Kontrolle entzog. Sofort verzehrten sie mich, überwältigten mich, so, als wäre meine Liebe die einzige Wahrheit, die ich je gekannt hatte. Die einzige Wahrheit, die es gab auf der Welt. Chase Jennings, ich liebe dich. Ich liebe den Jungen, der du warst, und den Mann, der du geworden bist, und selbst wenn ich dich überhaupt nicht leiden kann, liebe ich dich immer noch, weil du du bist, lieb und sicher und gut, weil du mich verstehst, und weil du keine Angst hast.
Als er die Aufrichtigkeit meiner Worte erkannte, wurde er sehr still. So still wie eine Statue. Und ich wartete, so verwundbar wie nie zuvor.
Schließlich atmete er tief und bebend ein, und während er das tat, krampfte sich mein Herz zusammen.
»Du kämpfst nicht fair.«
»Ja, na ja, du auch nicht«, entgegnete ich, und es stimmte. Risiken waren nie so gefährlich wie in Momenten, in denen man jemanden verlieren konnte.
Mit einem kurzen, trockenen Auflachen kam er zu mir, schlang die Arme um meine Taille, legte seine Stirn an meine und schloss die Augen. Meine Finger folgten der rosafarbenen, korkenzieherförmigen Narbe über seinem Bizeps, und ich musste an den Tag denken, an dem er beinahe gestorben wäre, weil er mich hatte beschützen wollen.
»Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, mir zu antworten«, half ich ihm auf die Sprünge.
»Was?« Als ich nach ihm schlug, packte er meine Hand und presste sie an seine Brust. »Ich liebe dich, Em. Ich liebe dich schon, seit ich acht Jahre alt war, und ich werde dich mein ganzes Leben lang lieben.«
Sein Lächeln war so offen, so ehrlich. Tränen vernebelten mir die Sicht, und meine Brust schmerzte, und ich wusste nicht, ob es überhaupt möglich war, zugleich so glücklich und so voller Furcht zu sein.
»Und was jetzt?« Meine Hände lagen flach auf seiner Brust.
»Jetzt muss ich Tucker suchen«, entgegnete er widerstrebend.
Diese Antwort zählte nicht zu den vielen, die ich von ihm zu hören gehofft hatte.
»Warum?«
Er küsste meine Schläfe und ließ seine Lippen verweilen, während er
Weitere Kostenlose Bücher