Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
mich um einen erleichterten Tonfall. »Ich war gerade unterwegs dorthin.« Ich fürchtete, meine wahre Absicht, die verlangte, sie loszuwerden, würde zu offensichtlich werden, sollte ich sie auffordern, sich dort wieder mit mir zu treffen.
»Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, flüsterte sie und ergriff meinen Ellbogen. Sean hatte recht – die Schwestern hier waren anders als die in der Reformschule. Sie waren ängstlich.
»Ja, jetzt schon, dank Ihnen!« Ich versteckte die linke Hand hinter dem Rücken, um den goldenen Ring an meinem Finger zu verbergen. Zwar war die Gefahr, wegen einer unangemessenen Beziehung zur Rechenschaft gezogen zu werden, geringer, wenn die Leute glaubten, Chase und ich wären verheiratet, aber Schwestern waren nur Schwestern, weil sie nicht das Glück – oder die Konformität – hatten, um Ehefrauen zu werden. Wie hatte ich das nur übersehen können. Heimlich zog ich mit der Rechten den Ring ab.
Ich hänge sie auf dem Platz ab, dachte ich. Führe sie in der Menge in die Irre. Auch wenn ich in der Reformschule von Schwestern umgeben gewesen war, hatte ich nie als solche gearbeitet und kannte ihre Tricks nicht. Sollte sie versuchen, mir einen geheimen Handschlag zu geben oder irgendetwas in der Art, wäre ich sofort aufgeflogen.
»Wo ist er hin?«, fragte sie furchtsam. »Er ist so groß!«
Ich sah mich um und fühlte, wie mein Bauch sich zusammenzog, als auch ich ihn nicht entdecken konnte. Wo war er hin?«
Als wir den Backsteinbunker erreicht hatten, stießen wir auf ihre Freundinnen, die inzwischen kehrtgemacht hatten, um ihre verlorene Kollegin zu suchen. Die Massen hatten sich am anderen Ende gesammelt, wo die Schwestern sich beeilten, bei der Frühstücksausgabe zu helfen.
»Friede sei mit Ihnen«, sagte eine Blondine mit großen Augen und vom Wind leuchtend rosafarbenen Apfelbäckchen zu mir.
Ich lächelte sittsam und fühlte, wie mein Haaransatz vom Schweiß feucht wurde.
»Und mit Ihnen«, ertönte die vorgefertigte Antwort von meiner Kidnapperin. Sofort plapperte ich die Phrase nach.
Noch immer war die Menschenmenge nicht ausreichend groß, um darin zu verschwinden, aber je weiter wir in sie vordrangen, desto geringer wäre Chase’ Chance, mich wiederzufinden. Ich trat mich in Gedanken jetzt schon dafür, dass ich mich von ihm getrennt hatte. Allein hier draußen waren wir viel gefährdeter.
Wir können uns im Wayland Inn widertreffen, ermahnte ich mich in Gedanken. Ich hoffte, wir würden es beide dorthin schaffen. Auf dem Platz wimmelte es nur so von Soldaten. Wallace hatte gesagt, es wären seit dem Angriff am Vortag mehr von ihnen da. Und nun war ich froh über die Tarnung, die die Schwestern mir lieferten.
Je näher wir den Schlangen vor der Essensausgabe kamen, desto schlimmer wurde der Gestank ungewaschener menschlicher Leiber, der den Geruch des verbrannten Hafers überdeckte. Die Leute verfolgten uns mit hungrigen Blicken, und so senkte ich aus purer Selbstverteidigung den Kopf und hielt mich dicht bei den anderen Frauen.
Als ich das nächste Mal aufsah, tat ich es, um einem Zusammenstoß mit einem Soldaten zu entgehen, der im Laufschritt unterwegs war.
Mein Herz tat einen Satz, und ein Quieken entfuhr meiner Kehle, als er gegen meine Schulter prallte. Ich stolperte zur Seite.
»Pass auf«, sagte er, ohne auch nur in meine Richtung zu blicken. Unerwarteter Zorn brodelte in mir auf. Ich wollte in meinem ganzen Leben nie wieder von irgendeinem Soldaten herumgeschubst werden.
Sekunden später erklang der Schrei einer Frau. Ihre Stimme klang hoch und animalisch und bohrte sich tief in mein Gehirn. Der Soldat, der immer noch neben mir war, riss wie ein Fuchs den Kopf herum, schnüffelte in der Luft, zog seine Waffe aus dem Gürtel und richtete sie auf den Himmel.
»Er wurde erschossen!«, hörte ich einen Mann in der Nähe der Suppenküche brüllen. Aber der Soldat neben mir hatte noch gar nicht gefeuert. Der Mann sprach von etwas anderem.
Mehr Stimmen wurden laut.
»Sniper!«, schrien sie. »Sniper!«
K APITEL
5
Ich zuckte zurück, prallte gegen jemanden hinter mir und wurde auf die Schwester zugestoßen, die mich hierhergeschleppt hatte. Ihre breiten Wangen hatten sich dunkelrosa verfärbt.
»O nein«, sagte sie immer wieder. »O nein, o nein, o nein.«
Dieses Mal hörte ich den Schuss, ein lauter Knall, der durch die Luft hallte und von den Gebäuden zurückgeworfen wurde. Der Soldat, in den ich beinahe gerannt wäre, war nirgends mehr zu
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