Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
und ich würde nicht ruhen, ehe ich sie gefunden hätte. Ich wusste nicht recht, wie Chase meine Idee aufnehmen würde, aber er würde mich nicht umstimmen können. Er wusste besser als jeder andere, wie wichtig es war, Versprechen zu halten. Immerhin hatte er meiner Mutter versprochen, mich zu suchen und zu finden.
Ich starrte Tucker an und überlegte, was er wohl plante. Die anderen hatte er hinters Licht geführt. Aber er war nicht der Traumrekrut, von dem Wallace und Sean gesprochen hatten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er je die tolle Truppe, zu der zu gehören sein ganzer Stolz gewesen war, bekämpfen würde. Nein, er war aus ganz eigenen Gründen hier. Um aufzusteigen. Um jeden niederzuschießen, der sich ihm in den Weg stellte. Und es kam mir vor wie ein kapitaler Fehler, ihm die Lage des sicheren Hauses zu offenbaren.
Und zugleich sah ich ihn immer noch im zweiten Stock des Wayland Inn vor mir, mitten im Rauch, wie er verzweifelt versuchte, den bewusstlosen Sean zu retten. Wie sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, mir wollte kein Grund einfallen, warum er ein Feuer hätte legen und dann im Gebäude bleiben sollen, warum er sein eigenes Leben aufs Spiel setzen sollte, nur damit andere ihn für einen guten Menschen hielten. Damit blieb nur noch die Möglichkeit, dass er vollkommen verrückt war – was ich bisher nicht ausgeschlossen hatte – oder sich tatsächlich verändert hatte.
Die Kiste, in der wir festsaßen, schien zusammenzuschrumpfen.
Er veränderte erneut seine Haltung, und da sah ich in dem schwachen Licht ein metallisches Schimmern. Ich richtete mich kerzengerade auf, griff nach der Taschenlampe und leuchtete ihn direkt an. In seiner Hand lag ein kleines, rotes Taschenmesser, und er hatte seinen Gips bereits halb aufgetrennt.
Mir drehte sich der Magen um. Ohne den Gips würde er beide Hände ungehindert nutzen können und noch gefährlicher werden.
»Solltest du den nicht dran lassen?«, fragte ich rundheraus. »Den Arm einem Arzt zeigen oder so?«
»Sie hat recht«, stimmte mir Chase zu. »Du brauchst nur einen Arm, um mich hinterrücks zu erstechen.«
Tucker schüttelte den Kopf, und ich glaubte, ihn kichern zu hören.
»Ihr zwei seid süß, wenn ihr euch Sorgen macht.« Er blickte nicht einmal auf.
»Oh ja, ich mache mir Sorgen«, quetschte ich zwischen den Zähnen hervor.
Die Reifen rotierten weiter beständig über den Highway.
»Lass es«, sagte Tucker. »Ich kann sonst nirgends hin.« Nun bedachte er mich mit einem absichtsvoll gelangweilten Blick. Für einen Moment sah ich, wie mir mein eigener Hass widergespiegelt wurde. Sah, dass Tucker mir seine ruinierte Karriere und sein ruiniertes Leben anlastete. Und dann war der Ausdruck wieder verschwunden. Der Gips löste sich mit einem Reißen, und er ächzte erleichtert und kratzte sich erst den einen, dann den anderen Unterarm.
»Ihr dagegen seid unterwegs nach Chicago, wie ich gehört habe«, bemerkte er.
»Ich, vielleicht«, antwortete ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich spürte, wie Chase’ Augen mich durchlöcherten, aber ich wagte nicht, meinen Blick von Tucker zu lösen. Er lehnte sich an die geriffelte Metallseitenwand, als wäre sie so bequem wie ein Sofa.
»Das hat mir dein Kumpel Sean erzählt. Du hast Glück, solche Freunde zu haben. Besonders, wenn man die Belohnung bedenkt, die auf dich ausgesetzt wurde.«
Wieder kam mir Riggins in den Sinn, und er brachte ein Gefühl der Reue mit sich. Er hatte mich nicht geschützt, weil wir Freunde waren, sondern weil er angenommen hatte, ich wäre der Heckenschütze.
Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich ganz an den Rand meines Sitzplatzes gerutscht war, bis Chase seine linke Hand auf mein Knie legte, und als er merkte, dass mein Bein vor lauter Aufregung zitterte, breitete er die Finger aus, drückte es herab und hielt mich an Ort und Stelle fest.
»Sie hat ganz sicher mehr Glück, als du es haben wirst«, kommentierte Chase.
Tucker zeigte uns lächelnd die Zähne. »Komm schon«, forderte er, »ich glaube, langsam darfst du mir mal eine Pause gönnen. Wir haben doch so viel gemeinsam.«
Meine Augen weiteten sich, als Tucker mich fixierte. Die Erinnerung daran, wie ich ihn im Gefängnis von Knoxville geküsst hatte, wie ich meine Integrität gegen Informationen eingetauscht hatte, fühlte sich klebrig und sauer auf meiner Zunge an. »Gott, ich wünschte, Jennings hätte das sehen können. Dann müssten wir ihn nicht mehr umbringen. Das
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