Gesetzlos - Roman
jünger.
Tatsächlich hatte sie ein wenig Ähnlichkeit mit Clara (und selbst ein wenig mit Lucie, der Mutter von Clara, wie ich später auf den Fotografien feststellen sollte), jedoch ohne die Schönheit noch die Anmut der genannten Personen (oder in nur ganz seltenen, flüchtigen Momenten).
Was ihre Teilantwort auf meine dritte Frage anging, so hatte ihr ein Unbekannter, sagte sie, aber ich glaubte ihr nicht (dass es sich um einen Unbekannten handelte), am Telefon eine nicht ganz unerhebliche Geldsumme geboten, wenn sie sich für eine halbe Stunde mit einer blonden Perücke und einem grünen Kleid ins Café de l’Opéra setzte. Nichts weiter. Sie würde aus der Ferne von einem Mann betrachtet werden, der in einem Auto zwischen Dutzenden und Aberdutzenden anderer Autos vorbeifahren würde. (»Ich begriff, dass meine Rolle darin bestand, in seinen Augen jemanden zu repräsentieren, der ich nicht bin.«) Kurz nach neunzehn Uhr sollte sie wieder gehen, damit sie jenem Mann ja nicht begegnete, hatte ihr der »Unbekannte« gesagt.
Die Worte »Was war geschehen?« bohrten sich noch tiefer in meinen Kopf. Es sah so aus, als würde Irène Maggie mir nicht helfen können oder nicht helfen wollen, die Frage zu klären.Aber war es so sicher, dass sie nicht wollte? Immerhin, warum hatte sie auf mich gewartet? Ihr inkonsequentes Verhalten weckte in mir die vage, schwer formulierbare Hoffnung, nicht in der engen Sackgasse stecken zu bleiben, in die ich mich mit eng am Körper anliegenden Armen hineinmanövriert hatte.
Sie hatte hellbraune Augen, eine zu runde Nase, lange Hände mit schmalen Fingern. Hübsche Unterarme. Üppige Brüste. Ihre Haut war sehr weiß. Das Grün ihres Kleides (das Zusammenspiel war subtil, vielleicht unbeabsichtigt, aber ich nahm es wahr) passte hervorragend zu ihrem kastanienbraunen Haar, dessen kurzer Schnitt hübsch geformte Ohren entblößte. Und in ihrem Blick flackerte, ganz gleich, welchen Gesichtsausdruck sie hatte, jener böse Glanz, der mich vom ersten Moment an abgestoßen hatte.
»Warum sind Sie dann nicht fortgegangen, ›damit Sie jenem Mann ja nicht begegnen‹?«, fragte ich sie.
»Ich weiß es nicht. Aus Überdruss. Weil ich mich langweile. Aus Neugierde. Um ihm zu begegnen … um zu sehen … Um Sie zu sehen.«
»Und ich bin nicht enttäuscht, Sie sind nach meinem Geschmack«, bedeutete das kleine Lächeln, das ihre Worte begleitete.
»Haben Sie denn keine Angst?«
»Angst? Wovor? Dass Sie die Polizei rufen? Nein.«
»Warum nicht?«
Ihre Antwort war ausweichend.
»Es hieß, Sie würden nah am Café de l’Opéra vorbeifahren und mich für jemand anderes halten, für Clara. Dann etwas tun, das weniger als eine halbe Stunde dauern würde, bevor Sie zu dieser Clara gehen würden. Um in dieser halben Stunde was zu tun? Ich habe nachgedacht. Lösegeld übergeben? Ja! Lösegeld, damit Sie Clara wiederbekämen, es war ein Tauschgeschäft! Sie sehen Clara, Sie bezahlen und Sie kommen, um sie abzuholen. Doch dann stoßen Sie auf mich. Also haben Sie umsonst bezahlt.«
Sie setzte jede Silben jedes Worts deutlich von der nächsten ab.
Sie verblüffte mich.
»In der Tat, ich habe umsonst bezahlt. Sie sagen, Sie haben nachgedacht … haben Sie es denn nicht gewusst?«
»Aber nein! Deswegen hatte ich ja auch keine Angst, weil ich nichts wusste! Ich habe einen anonymen Anruf bekommen – das würde ich sagen, wenn man mir Fragen stellte, einen anonymen Anruf –, man hat mir eine leicht ausführbare gut bezahlte Aufgabe angeboten, nichts Illegales – ein Streich, genau, ich würde sagen, es wurde jemand gesucht, um jemandem einen Streich zu spielen. Außerdem, wer weiß, ob Clara nicht zu Schaden käme, wenn Sie die Polizei jetzt, in diesem Moment über unser Treffen in Kenntnis setzen würden?«
Ja, sie war verblüffend!
»Stimmt, das werde ich nicht tun. Aber ich möchte Clara wiederfinden. Sind Sie sicher, dass Sie nicht mehr wissen? Dass Sie mir nicht helfen können?«
»Ich würde gern. Ganz ehrlich, nur zu gern. Nun …« (Sie setzte ein konzentriertes Gesicht auf.) »Ihre Clara wurde entführt, man hat Lösegeld von Ihnen verlangt, aber die Leute, die sie entführt haben, wollten sie nicht zurückgeben. Aus welchem Grund? Großes Geheimnis. Um ein zweites Lösegeld zu erpressen? Das bestimmt nicht. Oder sie haben sie gar nicht entführt. Warum? Großes Geheimnis. Weil es ihnen nicht gelungen ist, weil sie daran gehindert wurden? Schwer zu sagen. Oder sie haben sie verloren,
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