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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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man hat sie ihnen entführt, nachdem sie sie bereits entführt hatten? Ich versuche nur alle Möglichkeiten durchzuspielen. Aber eines ist gewiss: Sie wollen das Geld, um jeden Preis, also beschließen sie, es zu versuchen. Sie rufen Armand an.«
    »Wer ist Armand?«
    »Das werde ich Ihnen gleich sagen. Sie rufen Armand an, einen Mittelsmann, mit dem sie bereits zu tun hatten – lediglich eine Vermutung, nicht wahr –, denselben Armand, der mir kleine, leichte und gut bezahlte Jobs verschafft, seitdem ich nicht mehr als Grundschullehrerin arbeite. Ich war nämlich Grundschullehrerinin Clichy, doch ich bekam bald genug davon. Mir war langweilig. Ich kündigte. In dieser Zeit bin ich Armand begegnet. Sie rufen ihn an und sagen ihm ohne weitere Erklärung –« (Gesten und Mimik von Irène, um ihrer Rede an bestimmten Stellen Nachdruck zu verleihen:) »aber Armand zieht es zu seiner eigenen Sicherheit immer vor, so wenig wie möglich zu wissen –, dass sie eine junge Frau brauchen, die so und so aussieht, um am Café de l’Opéra folgendes zu tun, Perücke und so weiter.«
    Irène Maggie fuhr fort, mich zu verblüffen. Wer war dieses Phänomen?
    Ein Kellner scharwenzelte um mich herum. Ich bestellte dasselbe wie sie, einen Kaffee.
    Auch ich fing an nachzudenken. Wenn Claras Entführer, wie Irène sich überlegt hatte, möglicherweise an Claras Entführung gehindert worden waren, dann war sie ihnen vielleicht entwischt – aber dann war sie ja vielleicht zu sich nach Hause zurückgekehrt? (Was die Entführer anschließend getan hatten, die freche Forderung eines Lösegelds usw., stand auf einem anderen Blatt.) Das war nicht ganz auszuschließen. Ich nahm das Telefon und fragte die Auskunft nach der Nummer der Nomens in Saint-Maur – und im letzten Augenblick auch nach der von Mireille Bel, deren Namen ich mir ebenso gemerkt hatte, wie jedes einzelne Wort des Briefes, den Michel seiner Nichte Clara hinterlassen hatte. Ich erhielt beide Nummern.
    Ich rief bei Clara an.
    Niemand.
    Ich rief bei Mireille Bel an (eine Musikerin, wie ich im Gespräch rasch erfuhr). Sie hob sofort ab und hauchte ein besorgtes »Hallo«. Dank einer plausiblen und einfachen Lüge (Luis Archer – ich zögerte einen Moment, meinen Namen zu verraten –, Transkriptionen, ein zu bestätigendes Treffen mit Clara, Clara nicht erreichbar, Sorge, ich habe mir die Freiheit genommen …) kam ich an die gewünschten Informationen: Sie hatten gemeinsam an die drei Stunden geprobt, dann war Clara aufgebrochen,sie sollte Mireille anrufen, sobald sie in Saint-Maur angekommen wäre. Mireille hatte darauf bestanden, dass Clara sie anrief, sie hatte sie so aufgewühlt erlebt, eine plötzliche und schmerzhafte Veränderung in ihrer Beziehung zu ihrem Onkel, noch nie hatte sie sie in einem solchen Zustand gesehen. Sie hatte auf den Anruf gewartet, selbst angerufen, doch vergeblich. Ein Versäumnis, Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit, Wortbruch? Bei Clara unvorstellbar. Eine Stunde später hatte Mireille die Polizei angerufen, und zwei Stunden später hatte ein junger freundlicher Inspektor ihr von Michels Selbstmordbrief erzählt. Man war auf der Suche nach Michel Nomen, nach ihm oder seiner Leiche – und man war auch auf der Suche nach Clara. Ihr schwarzer Austin stand noch immer im Parkhaus Halévy. (»Ihr schwarzer Austin steht noch immer im Parkhaus Halévy, bewacht von einem Polizisten. Ich wohne in der Rue Auber, vielleicht wissen Sie es nicht, das Parkhaus ist ganz in meiner Nähe. Clara ist offensichtlich auf dem kurzen Weg von meiner Wohnung zum Parkhaus verschwunden.« So befanden sich Irène und ich also am Ort der Entführung, dem Place de l’Opéra!). Ich bat die vortreffliche Mireille, deren Stimme trotz ihrer Angst melodiös klang, um die Erlaubnis, sie wieder anzurufen, und äußerte den Wunsch, wenn sie es nicht für unangemessen hielt, dass sie mich bei der kleinsten Neuigkeit anrief. Dazu war sie nur allzu gern bereit.
    Irène beobachtete mich. Sie hörte zu, sah mich vor allem jedoch an.
    Ich berichtete ihr umstands- und furchtlos von meinem Anruf.
    Sie musste mir helfen.
    Was wusste sie wirklich, was wusste sie nicht? Bis zu welchem Punkt konnte ich ihr glauben, ihr vertrauen? Ich nutze die Erwähnung dieser ursprünglich bohrenden Ungewissheit, um den Zweifel anzukündigen, den ich in den folgenden Tagen nach unserer Begegnung (um genau zu sein vom 24. bis 30. Mai) injeder Sekunde mit ihr empfand, und um den Versuch zu unternehmen, die

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