Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH

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herrschten Temperaturen zwischen -150 und -180 (irdische oder renatinische) Grad. Bevor er Opera verließ, wagte er durch seinen dünnen Raumanzug hindurch Clara auf die Stirn zu küssen, dann stieg er in Marieskis Doppelschleuse.
    Einige Minuten später setzte er den Fuß auf den Boden von Nomen, den rechten Fuß, der wieder seine Kraft und Beweglichkeit gefunden hatte und an den er nicht mehr dachte (genausowie es schwierig ist, sich vorzustellen, dass man große Schmerzen gehabt hat, wenn man keine Schmerzen mehr hat). Er entfernte sich etwa zwanzig Meter von Opera. Kein Geräusch, keine Bewegung, nicht die kleinste sichtbare Gefahr, nicht einmal das lauernde Gefühl einer möglichen Gefahr. Im Übrigen hatte er keine Angst (schon seit Langem hatte er vor nichts mehr Angst), außer um Clara. Am Wohlergehen seines Passagiers war ihm im höchsten Maße gelegen – weil er noch immer überzeugt war, sie zwecks erfolgreicher Durchführung der Mission wohlauf nach Renata bringen zu müssen.
    Hüllte die Nacht je diesen Planeten ein, schlich die Dunkelheit je um ihn her, versank die Sonne je hinter dem Horizont? Nein, gab Axel sich selbst zur Antwort, nein, bestätigte ihm Axel 2. Ihm fiel die leichte Rosafärbung der ansonsten so durchsichtigen Atmosphäre auf, die vielleicht auf die starke, von der Vegetation ausgehende Rotstrahlung zurückzuführen war.
    Die Lichtung war mit winzigen tiefroten Blumen übersät. Dieser Flor verjüngte sich in der Ferne zu einem extrem schmalen Streifen, sodass seine Farbe sich aufzuhellen schien, je weiter der Blick in die Ferne schweifte, immer heller und heller – bis der Blick sich verlor, ja, bis der Blick sich verlor, und so hatte Axel den Eindruck, als würde sich vor ihm ein Naturpfad auftun, der sich seinen Weg durch einen Wald aus Zwergtannen bahnte, bis hinauf zum Hochplateau –, und auch nach Überwindung des Höhenunterschieds verlief der Pfad immer weiter als schmales rosa Band, das wie eine eigenartige Landstraße anmutete, immer weiter, bis an jenes Blutmeer, in das sich die Landschaft am Ende ergoss.
    Der Markol-Test blieb negativ. Kein Leben auf Nomen. Axel hielt den schwarzen Spiegel von Axel 2 in der Hand, den er aufgefordert hatte, die im Innern von Opera gemessenen Daten zu bestätigen und sie gegebenenfalls zu verfeinern.
    Jenseits der Lichtung waren die Bäumchen des Waldes, die in allen Rotnuancen schimmerten, so niedrig, dass man sie kaumvom Buschwerk unterscheiden konnte, das sich wiederum nur mit Mühe aus den dicht wuchernden Flechten erhob, die jede noch so kleine Fläche eroberten. Und noch etwas beunruhigte Axel: Obwohl das waldige Pflanzengewimmel reglos dalag, weil kein Lüftchen ging, war doch alles nach links geneigt, zur Seite gebogen, verkrüppelt, als hätte hier ein Sturm gewütet oder als sei der Wald auf dem Höhepunkt eines lang zurückliegenden Sturms fotografiert worden.
    Das Meer war in der Ferne von schwarzen Strömen durchzogen, aber vielleicht »strömten diese Ströme auch gar nicht«, sollte Axel später in sein Heft schreiben, sondern waren wie Nomen erstarrt.
    Was er von dem Planeten sah, erschien ihm auf einmal von den Konturen her zu präzise und von den Farben her zu grell, als handelte es sich um eine gemalte Kulisse.
    Doch auch das Gespräch mit Axel 2, der vor lauter Informationsabfragen bebte, ergab nichts Neues.
    Er machte kehrt. Mit übertriebenen Gesten winkte er in Richtung Opera, ganz linkisch und schüchtern durch die Tatsache, dass Clara ihn sah, er sie aber nicht sehen konnte.
    Marieskis Doppelschleuse.
    Dann gesellte er sich wieder zu Clara, die er in ihrem Zustand der Gutgläubigkeit und Vertrauensseligkeit beließ, als würde er ihr ein unsichtbares Fluidum in den Geist flößen.
    Erneuter Versuch abzuheben, erneutes Scheitern.
    Axel dachte nach. Er hatte eine Idee.
    Wenn Rafi und die anderen ihn für den besten Kosmonauten hielten, den der Planet Renata jemals hervorgebracht hatte, lag dies auch an seiner großartigen Intuition und seinen kreativen Eingebungen, auf die er in Situationen zurückgreifen konnte, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse und Lebenserfahrung nicht ausreichten.
    Wie war die Faktenlage? Ein lebloser Planet war auf seinem Rückweg aufgetaucht, eine dunkle Macht hatte sie angezogenund hinderte sie nun daran, wieder fortzufliegen. Weil er auf dem Rückweg in Begleitung von Clara war? Weil Nomen Clara festhalten wollte? So lautete seine ausgefallene und logische Hypothese, die er auf der