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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Stelle überprüfen wollte.
    Er bat Clara, in die kleinere, aber nicht weniger komfortable Wohnung von Opera 2 zu steigen und steuerte die Zwillingsraumkapsel nach draußen, wo sie über den Flor roter Blumen glitt und in nur geringer Entfernung ihrer großen Schwester stehen blieb. Er blieb in Opera sitzen, von wo aus er Opera 2 starten wollte: Doch nichts geschah.
    Dasselbe an Opera gerichtete Kommando hingegen zeigte sofortige Wirkung.
    Axel allein könnte also entkommen, von hier fliehen, abheben, unter der Bedingung dass er Clara auf Nomen zurückließ! Warum? Er hatte dafür keine Erklärung. Was tun? Auf diese weitere Frage hatte er sofort eine Antwort: Er musste allein nach Renata fliegen und dann, ausgestattet mit den nötigen Mitteln, um Nomen zu bezwingen, zu Clara zurückkehren …
    Würde Clara in Sicherheit sein, während sie im Kokon von Opera 2 schlief? Marieski zufolge war die Zahl der Gefahren, vor denen man in der hermetisch abgeschlossenen Kapsel von Opera oder Opera 2 geschützt war, nahezu unendlich. Axel hatte ohnehin keine Wahl. Entweder er tat, was er im Begriff war zu tun, oder er blieb für alle Ewigkeit mit Clara auf Nomen (eine Vorstellung, die ihm für einige Augenblicke angenehm durch den Kopf spukte, bevor sie sich in Nichts auflöste).
    Also ließ Axel Clara im »Rettungsboot« zurück (nachdem er ihr empfohlen hatte, sich schlafen zu legen: Wenn sie aufwachte, wäre er schon wieder da), startete mit ängstlich zusammengekrampftem Herzen die Raumkapsel, die schon bald über der Operettenkulisse des eiskalten und in ewiger Dämmerung verharrenden Planeten schwebte, und katapultierte sich mit unsagbarer Geschwindigkeit durchs Weltall.

K APITEL 17
MAGGIE
    Allein der weise Odysseus, als er den großen Bogen geprüft und ringsum betrachtet: So wie ein Mann, erfahren im Lautenspiel und Gesange, leicht mit dem neuen Wirbel die klingende Saite spannet, knüpfend an beiden Enden den schöngesponnenen Schafdarm: So nachlässig spannte den großen Bogen Odysseus. Und mit der rechten Hand versucht’ er die Sehne des Bogen; lieblich tönte die Sehne, und hell wie die Stimme der Schwalbe
.
Homer,
Odyssee
, 21. Gesang.
    Kaum spürt’ ich den Hieb, der mir beigebracht ward.
Vielmehr quält mich jener, den du gleich bekommst
.
Martialis,
Epigramme
1, 13

Nein, diese junge Frau mit dem offenen Gesichtsausdruck, der sich als Aufforderung deuten ließ: »Ich habe auf Sie gewartet, setzen Sie sich doch bitte!«, deren funkelnder Blick jedoch eine böse, unerbittliche Härte verriet – ein Funkeln, das meines Erachtens ständig in diesem Blick lauerte, seit jeher und in alle Ewigkeit –, diese junge Frau war nicht Clara Nomen, sie war jemand anders.
    Es fehlte nicht viel, dass der Speichelfaden der Ungläubigkeit meine Lippen in tosenden Strömen überschwemmt hätte.
    Das war nicht Clara Nomen!
    Aber wer dann? Wer war diese Person und wo war Clara? Was ging hier vor, was war hier vorgegangen, welche wogende Verkettung von Ursache und Folge hatte Irène (denn das war ihr Name) ans Ufer der Oper gespült?
    Ich setzte mich ihr gegenüber auf einen zu harten Sitz (und neben einen kleinen Blumenkasten zu meiner rechten, in dem sich rote Nelkenköpfe an ihren Stängeln zu mir hinüberbeugten, wohl in der Absicht, das trübe Grau-in-Grau dieses späten Nachmittags zu übertrumpfen), ich setzte mich und unterbreitete ihr mit tonloser und zugleich erregter Stimme meine drei eben formulierten Fragen.
    Sie wusste weder, wer Clara war, noch, wo sie sich befand, ihren Namen hatte sie noch nie gehört.
    Als sie ihre blonde Perücke abnahm, kam darunter ihr kurzes, dichtes, kastanienbraunes Haar zum Vorschein. Das war ihre üblicheFrisur, sie hatte sich die Haare nicht etwa abgeschnitten, damit die Perücke besser passte, teilte sie mir mit (als würde sich dieses Gesprächsthema aufdrängen).
    Sie verstaute die Perücke in ihrer Leinentasche.
    Irène hieß sie, Irène Maggie, Irène Maggie Perking. Sie war in naiver Weise stolz auf ihren zweiten Vornamen und ihren englischen, oder eher amerikanischen, Namen. Ihr Vater, ein amerikanischer Berufssoldat, hatte ihre Mutter im sechsten Schwangerschaftsmonat verlassen. Darauf hin hatte er sich nie wieder bei ihr gemeldet. Die Mutter, die ihr Melodram hartnäckig weiterspann, verlor bei der Geburt das Leben. Niemand, der eng genug verwandt war, um Maggie aufzunehmen. Waisenhaus. Die Jahre im Waisenhaus, o weh o weh o weh.
    Ohne Perücke wirkte sie noch

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