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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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vielleicht auch schon davor – für mich empfunden hatte, als sie aus ihrer Rolle getreten und im Café de l’Opéra sitzen geblieben war, anstatt sich auf und davon zu machen, sie wollte mich, sie wollte den Eifer, das Feuer, den Strom, den Fluss, alles, was mich zu Clara trieb, zu sich umlenken.
    So blieb ihr nichts weiter übrig, als mir bei meiner Suche zu helfen.
    Sie rief vor meinen Augen Armand Nathal an.
    »Ich bin bei meinem neuen Liebhaber«, sagte sie. »Er hat ein interessantes Angebot für uns. Können wir kurz vorbeikommen?«
    Was für eine verblüffende Natürlichkeit, wie geschickt sie das einfädelte! Ich glaube, Gott in Person hätte ihr mit ja geantwortet – aber sicher, kommen Sie wann immer Sie wollen, ich warte auf Sie!
    Dann brachen wir auf, aber erst nachdem Irène die für mich und alle Anwesenden gut hörbaren Worte gezischelt hatte, dass sie nie wieder einen Fuß in ein Café setzen würde, in dem man den Kunden unterschiedliche Mengen desselben Getränks servierte – und nachdem sie gerade noch einen Schrei unterdrückt hatte, weil sie beim Zurückschieben des Stuhls mit dem linken Handrücken die Nelken berührt hatte, ein Schrei, den sie hätte ausstoßen können, wenn die Nelken Rosen oder Kakteen mit vergifteten Dornen beziehungsweise Stacheln gewesen wären – derart ängstlich war sie, derart leicht wurde sie beim kleinsten Schmerz, den sie an dieser oder jener Körperstelle empfand, von Unruhe oder Panik ergriffen – wie ich noch häufig Gelegenheit haben sollte, festzustellen.
    Sie war groß und trug hohe Absätze.
    Sie vollführte eine Drehung. Ja, wenn sie die Richtung änderte, vollführte sie immer eine Drehung.
    »Beim Parken sind Sie ganz schön ungeniert!«, sagte sie, als sie den roten Lancia vor dem Eingang des Café de l’Opéra stehen sah, so nah wie es ging, man sah nur ihn und wie er die Busse und Taxis zu gefährlichen Ausweichmanövern zwang.
    Ich erzählte ihr, wie ich es mit Armand anpacken wollte – ganz einfach: Ich würde ihm und – mit seiner Hilfe – auch Claras Entführern Geld bieten, ihnen die Nase vergolden, wenn er denn bereit und in der Lage war, sie zu kontaktieren. Und sie, was gedachte sie zu tun, um Armand zum Einlenken zu bewegen, abgesehen davon, dass sie mich bereits als ihren Liebhaber vorgestellt hatte?
    »Ebenfalls ganz einfach«, sagte sie (wobei sie eilig das Lächeln unterdrückte, das ihr bei meiner Anspielung auf meinen Status als neuer Liebhaber über die Lippen gehuscht war). »Ich muss ihm von Anfang an deutlich machen, wie überzeugt ich bin, dass er von Ihnen nichts zu befürchten hat. Denn davon bin ich tatsächlich überzeugt.« (Sie beugte sich nicht zu mir vor, küsste mich nicht auf die Wangen, aber sie stellte es sich vor, das konnte ich körperlich spüren.) »Es wird schon schwer genug, ihm meinen Leichtsinn zu erklären, warum ich nach neunzehn Uhr noch im Café geblieben bin. Wie soll ich das rechtfertigen? Unangenehme Sache … obwohl, vielleicht nicht. Ich werde mir eine Lüge ausdenken. Ich werde einfach sagen, dass meine Uhr stehengeblieben ist. Das ist schon einmal vor zehn Tagen passiert, er weiß das, er war dabei, beim Zwischenakt in einem Theater, ein Schnipsen gegen den Uhrdeckel und der Zeiger lief wieder. Er hat gesagt, ich solle sie reparieren lassen oder eine neue kaufen, aber er weiß, wie nachlässig und zerstreut ich bin, kurz, meine Uhr ist heute Abend wieder stehengeblieben, in Ordnung? Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich es gemerkt habe, das ist normal, man vertraut dem Ziffernblatt seiner Uhr, und als ich es endlich gemerkt hatte, war es zu spät, Sie waren schon da. Wir müssen darauf achten, dass wir uns vor Armand duzen. Werden Sie daran denken, werden Sie aufpassen?«
    Rue Réaumur. Ich raste in Richtung République.
    Wie sollte ich darauf nein sagen? Ich sagte ja.
    »Gut. Es ist also ganz einfach. Wir gehen schon seit einer Weile miteinander aus. Aber wir sehen uns nicht jeden Tag. Der Mann, den ich meiden sollte, kommt auf mich zu und, was für ein Zufall, was für eine Überraschung, Sie sind das. Du bist das. Sie hatten mir schon oft von Clara erzählt und ich Ihnen von Armand. Dann haben Sie mir von den Ereignissen des Nachmittags berichtet. Ich wiederhole alles für ihn, genau so, wie Sie es mir berichtet haben. Das ist alles.«
    »Glauben Sie wirklich, dass er die Geschichte schluckt?«
    »Aber sicher! Schließlich ist sie wahr!«
    Dieser Brustton der Überzeugung hätte mir

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