Gesetzlos - Roman
und theatralischen Eindruck machte er auf mich, wie er so vor mir stand mit seinen schwarzen Augen und seinen schwarzen Haaren, so spärlich sie auch geworden sein mochten (hohe Stirn, schütteres Haar), mit dem dunkelgrauen Anzug (in dessen Sakko er meines Erachtens gerade erst hineingeschlüpft war, um mich zu empfangen, dessen bin ich mir sogar sicher), mit dem erhobenen Haupt, als wäre er tunlichst darauf bedacht, ganz gleich wie groß sein Gesprächspartner war, ihn immer von oben herab anzusehen.
»Armand, Luis«, sagte Irène, während sie meine Schulter tätschelte.
Ohne sonderliche Herzlichkeit schüttelten wir uns die Hand. Er geleitete uns in einen großen Raum mit Blick auf den Boulevard. Viele Bücher, ein mit Papieren übersäter unordentlicher Schreibtisch, ich setzte mich mit Irène auf ein neu riechendes Sofa gegenüber von zwei geöffneten Fenstertüren (durch dieman auf einen üppig bepflanzten, blühenden Balkon hinaustreten konnte, der zu meiner Überraschung – ich habe einen sehr schlechten Orientierungssinn – Ausblick auf ein Stück des Eiffelturms und des Tour Montparnasse bot).
Als ich mich setzte, merkte ich, wie dringend ich es nötig hatte. Ich war am Ende, am Ende vom Ende. Ich nahm all meine verbliebenen Kräfte zusammen, um mich dem ehrenwerten Monsieur Nathal zu stellen, der einen Sessel heranschob und, nachdem er dem lärmenden Boulevard die Fenstertüren vor der Nase zugeschlagen hatte, sich vor uns setzte, leicht erhöht, uns überragend, der Fortsetzung harrend.
Irène (der Teufel hätte seine Märchengeschichten nicht natürlicher, nicht überzeugender vortragen können – aber schon da fiel mir ihr übertrieben schlichter Tonfall auf, wenn sie log), Irène fuhr mit ihrer Fabel fort, unsere intensive und noch ganz frische Beziehung, ihre Uhr, die an diesem Nachmittag wieder stehen geblieben war, und dieser unerhörte Zufall – auf der einen Seite Irène und ich, auf der anderen Seite Clara und ich, die Entführer, die sich an Armand, und Armand, der sich auf noch anderer Seite an Irène gewandt hatte, und schließlich noch mal Irène und ich, die wir uns verblüfft und ungläubig in diesem Café de l’Opéra gegenüberstanden hatten – und auch Armand war so verdattert, dass seine Verwunderungsorgane, die dunklen Augenbrauen, allmählich seine bullige Stirn hinauf kraxelten und er zu Irène sagte:
»Bist du sicher, mein Schatz, dass es keine Dummheit war, ihn hierher zu bringen?«
»Natürlich nicht, was glaubst du denn!«
Diesmal log sie nicht. Denn auf das Aufspüren jedes noch so kleinen bösen Hintergedankens im Kopf eines anderen war die talentierte Maggie Perkings, diese absolute Expertin auf dem Gebiet der Bosheit, geradezu spezialisiert. Und Armand, der ihr offenbar zugetan war wie ein zärtlich liebender Vater, Armand glaubte ihr, es war ihr tatsächlich gelungen, ihm das eigene Vertrauen,die eigene Überzeugung einzuflößen: Ich verzichtete auf die Lösegeldsumme, mir lag nur an Claras Schicksal, das war der einzige Grund für meine Anwesenheit hier, ich war reich und freigiebig, sie würden ihre Unterstützung nicht bereuen.
»Ich für meinen Teil weiß nichts, und ich kann Ihnen nichts versprechen«, sagte Armand Nathal in dem Moment. »Aber ich werde es versuchen.«
»Bestens«, sagte ich. »Ich möchte mit dem Drahtzieher sprechen, demjenigen, der am meisten weiß, mich mit ihm treffen, wobei ich garantiere, dass keinerlei Risiko besteht, aber es gutes Geld gibt – immerhin habe ich gerade dreihunderttausend Euro durch einen Vertrag verloren, den die andere Seite nicht eingehalten hat. Warum, in diesen dunklen Punkt würde ich gern etwas Licht bringen.«
Er schenkte mir weiterhin Glauben, warum hätte er mir auch nicht glauben sollen, Irène hatte recht. Er hielt eine heuchlerische und umständliche Rede über die Risiken, die mit seiner Vermittlungstätigkeit einhergingen, und gab mir zu verstehen, dass er bei den Großen dieser Welt ein und aus ging, wobei es ihm gelang, ein Zitat aus dem Römischen Recht * in seine Rede einzuflechten (bei dem ich an Irènes Gesicht sah, das er es jedem neuen Bekannten vorsetzte), kurz, der Rechtsanwalt war ein unsympathischer Volltrottel (selbst wenn seine katzenmutterartige Zuneigung für die adoptierte Irène ihn eines Tages vor den Strafen der Hölle bewahren würde).
Er schloss mit den Worten:
»Und diese Summe … wäre …«
»Sie wäre erheblich.«
Er blickte Irène an. Beratschlagten sich die
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