Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
beiden mit den Blicken? Gab sie ihm von Hirn zu Hirn über den Kanal der Augen einen kleinen mentalen Stupser, der den Ausschlag für seineEntscheidung geben sollte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls rang er sich zu dem von mir erhofften Schritt durch.
    »Warten Sie einen Moment auf mich«, sagte er.
    Er verließ den Raum und zog sich mit dem Telefon zurück. Während seiner kurzen Abwesenheit spielte Irène ihre Rolle der Verliebten weiter, streichelte meine linke Hand (sie saß zu meiner Linken) und machte mir schöne Augen, sie war amüsant, das muss ich zugeben. Nathal kam zurück. Er hielt das Telefon in der Hand und reichte es mir mit geradezu lächerlicher Süffisanz:
    »Miguel Herbé ist bereit mit Ihnen zu sprechen.«
    Irène bedeutete mir (aufgeregt und überrascht), dass der fragliche Miguel Herbé just der Mann war, dessen Stimme ich nachgeahmt hatte, eine Stimme, die ich unmittelbar wiedererkannte, sie war unnatürlich und vulgär, dieses Mal jedoch aller Selbstsicherheit beraubt – und ohne merkliches Misstrauen: Der überzeugte Armand hatte offenbar überzeugend gewirkt.
    Sofort überkam mich die überwältigende Gewissheit, dass dieser Miguel Herbé Clara kein Haar gekrümmt hatte.
    »Wer sind Sie«, fragte er mich, »wenn Sie nicht Michel Nomen sind …«
    »Michel Nomen weilt leider seit einigen Stunden nicht mehr unter uns. Ich bin ein Verwandter von Clara. Ich war gerade bei ihr und hatte auf sie gewartet, um ihr die schlechte Neuigkeit zu überbringen, als ich Ihre erste Nachricht hörte. Claras Wohl liegt mir derart am Herzen, dass ich beschloss, so zu handeln, wie ich gehandelt habe.« (Ich ging zur Befragung über, die mir die Mundhöhle austrocknete:) »Wo steckt sie? Warum wurde sie nicht zurückgegeben? Was ist geschehen?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Miguel Herbé.
    Ich schluckte meinen Ärger herunter.
    »Was wissen Sie nicht?«
    »Ich weiß nichts. Ich habe sie nicht zurückgegeben, weil sie vor meinen Augen verschwunden ist, genau in dem Moment, als ich sie beobachtet habe. Und zwar während sie den Place del’Opéra in Richtung Parkhaus überquerte, wo ich selbst gerade aus dem Auto steigen wollte. Es ist niemand auf sie zugekommen. Sie ist verschwunden, sie war da und im darauffolgenden Augenblick war sie nicht mehr da. Glauben Sie mir, glauben Sie mir, so wie ich Ihnen glaube, ich sage Ihnen nur, was ich gesehen habe, sie war nicht mehr da.«
    »Was ist Ihrer Meinung nach geschehen?«
    »Das weiß ich eben nicht!«
    »Hat sie vielleicht die U-Bahn genommen? Ist sie auf den Métro-Eingang zugesteuert?«
    »Nein. Außerdem befindet sich der Métro-Eingang in Richtung Avenue de l’Opéra, wohingegen Clara Nomen an der Oper entlanggelaufen ist, als sie plötzlich nicht mehr zu sehen war … nein, ich weiß es nicht.«
    Er hatte keine Erklärung. Und offenbar verstellte er sich nicht. Warum hätte er sich auch verstellen sollen?
    »Hören Sie, wie ich schon zu Monsieur Nathal gesagt habe, ich muss Sie sehen. Sie müssen mir alles haarklein erzählen, selbst wenn es nur wenig zu erzählen gibt, vielleicht kehrt eine Erinnerung wieder, die …«
    Ihn überkam Angst. Trotz der verlockenden Geldsumme überkam ihn Angst. Vor einem Treffen, bei dem ich mit einer Polizeieskorte auftauchen würde? Ich glaube nicht. Aber trotzdem Angst. Ich dachte bei mir, dass ich ihn beruhigen musste, wenn ich wollte, dass er sich zu einer Entscheidung durchrang. So erwähnte ich nachdrücklich Irènes Vertrauen in mich und die Liebe, die ich für sie empfand (auf keinen Fall würde ich irgendetwas unternehmen, das meiner Angebeteten oder ihrem lieben Armand schaden könnte), die Tatsache, dass ich auf das Lösegeld verzichtet hatte (es sei denn, er bestand darauf, es mir zurückzugeben) und ich bereit war, weitere fünfzigtausend draufzulegen, die er nach Lust und Laune zwischen wem auch immer aufteilen konnte, wenn er nur bereit war, sich mit mir zu treffen und mir alles zu erzählen, und selbst, wie ich betonte, wenn ernichts zu erzählen hatte, denn dieses Nichts würde sich vielleicht durch das interpretative Verständnis eines anderen auf Indizien lauernden Geistes, sprich: des meinigen, in ein kleines Etwas verwandeln können. Ich kannte Clara und ihren Alltag gut, Dinge, die ihm, Miguel, unbedeutend erschienen, mochten es für mich nicht sein, und meine Fragen würden möglicherweise, begünstigt durch eine echte Begegnung, unerwartete und kostbare Einzelheiten zutage fördern.
    Ich war von jedem

Weitere Kostenlose Bücher