Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH

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angesehen, und in jedem Augenblick hatte sich Clara geschworen, die Weihnachtsfeiertage bei ihr zu verbringen, drei Stunden Zugfahrt, kein Problem, in der Villa zum blauen Himmel zwischen Vences und Cagnes-sur-Mer– »Villa zum blauen Himmel«, ein eitler Name, den Marcus, der einstige Gendarm und Gatte von Alma dem Häuschen gegeben hatte, nachdem er es gekauft (und mit Hilfe seines Bruders, eines Maurers, instand gesetzt hatte).
    Eine unbestimmte, beinahe nichtige Rolle hatte hingegen Michel in den achtundvierzig Stunden, die sie allein auf dem Planeten Nomen verbrachte, auf der Bühne ihrer schlaftrunkenen Gedanken gespielt.
    Manchmal hörte sie die beruhigende Musik der Himmelssphären nicht mehr, sondern nur noch die Stille, als würde die klirrende Kälte, die auf Nomen herrschte, alles vereisen, selbst die Töne, oder als hätte sich die Musik in ihren eigenen Schoß zurückgezogen – dann veränderte sich die Landschaft schlagartig, alle Dinge lösten sich auf, und Clara erblickte ohne Hilfe der Augen in der weißen Ferne, wo sich anscheinend die Stille der Zeit angehäuft hatte, sich selbst als Kind – und plötzlich hörte sie wieder Töne, Worte:
    Die Liebesträume früher Jahre
    sind sämtlich mit der Zeit entschwunden
.
    Auf dass ich in Erinnerung wahre
    mein Warten, bis ich dich gefunden
,
    und die vier Verse raunten in ihr, wieder und wieder, und hielten ihr ganzes Leben umschlossen.
    Am Abend des 28. Mai (»28. Mai«: 19. Mai auf Renata, »Abend«: nur so eine Redensart, denn Nomen war in ewiges Licht getaucht) sah Axel auf dem Bildschirm von Opera wieder den erstarrten Sturm, die Vegetation, die zur einen Seite des kleinen Planeten geneigt war, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Clara gefangen zu halten, und er landete etwa dreißig Meter von Opera 2 entfernt, genau an der Stelle, wo er zwei Tage zuvor genau zur selben Zeit abgehoben war.
    Auf dem Weg nach Renata, dem sterbenden Planeten, der zur Erde eine Zeitverschiebung von neun Tagen aufwies, hatteer, sobald die Kommunikation wieder möglich geworden war, dem Nervenbündel Rafi von der beunruhigenden Anziehung berichtet, der sie auf »Nomen« ausgesetzt worden waren, und ihm seinen Lösungsvorschlag unterbreitet.
    Darauf hin hatte Rafi unverzüglich den stolzen Alec einbestellt.
    Als Axel einige Stunden später eintraf, war alles schon vorbereitet: Alec, der auf seinem Gebiet ein Genie war (auf Axels Planeten gab es viele »Genies auf ihrem Gebiet«) und über eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an jede noch so unerwartete und komplexe Situationen verfügte, hatte den »Ätherisierungszylinder Nr. 8« entwickelt. Dieses schwarze zylindrische Objekt, kaum größer als ein Kugelschreiber, war mit einer schier unglaublichen Menge an Uranoxid gefüllt, der er (und hier offenbarte sich Alecs grandioses Improvisationsgenie) 3% reine Rearchusil-Flüssigkeit beigemengt hatte. Der Ätherisierungszylinder Nr. 7 konnte eine ganze Gebirgskette vernichten: die Nr. 8, versicherte Alec, wobei seine dunklen Augen vor Stolz auf blitzten, verwandelte zweitausend Milliarden Milliarden Tonnen im Handumdrehen zu Staub, genau dies war die Masse von Nomen (ein Drittel der Erde), die Axel 2 unter Berücksichtigung der chemischen Zusammensetzung und Größe berechnet hatte.
    Axels Halt auf Renata wurde von zwei außergewöhnlichen Zwischenfällen begleitet.
    Während die zehn Milliarden Lichtjahre, die ihn noch von Clara trennten, an ihm vorbeizogen, notierte er sie in sein graues Heft.
    Der erste hatte sich ereignet, als Axel Opera im mittleren Hof des Militärquartiers landete und ausstieg. Für gewöhnlich blieben die kleinen psychischen Störungen, die mit der Zeitverschiebung einhergingen und auf den Besuch ferner Planeten zurückzuführen waren, für ihn folgenlos, zumindest verschwanden sie für gewöhnlich just in dem Moment, wenn er den geschlossen Raum von Opera verließ und erneut die Luft von Renata einsog.Dieses Mal hatte er zum Beispiel die irdische Zeit abstreifen und wieder ganz zum Renatiner werden müssen, also den 18. Mai empfinden und von seinem Heimatplaneten nur das wissen dürfen, was seine Landsleute an diesem 18. Mai von ihm wussten, nicht mehr und nicht weniger. Doch war das diesmal nicht der Fall gewesen. Entweder weil die Erde und Renata Zwillingsschwestern waren oder (nach Axels Ansicht war das wahrscheinlicher) weil Clara und er engstens miteinander verbunden waren, jedenfalls fühlte sich für Axel, als er den Fuß auf renatischen