Gesetzlos - Roman
Boden setzte, der Tag sehr wohl nach einem 18. Mai an, aber für seinen ganz von der Erde durchtränkten Geist auch nach dem 27. Mai – und auf einmal, schier undenkbares Phänomen, strömten sämtliche Ereignisse auf ihn ein, die sich zwischen dem 18. und 27. Mai auf Renata abgespielt hatten. Mit anderen Worten, er »erinnerte sich« an Ereignisse, die sich zwischen diesem 18. und dem kommenden 27. Mai auf seinem Planeten ereignen würden! Einige wurden problemlos und in aller Deutlichkeit von ihm wahrgenommen, etwa am 20. Mai die (bedauerliche) Berufung des gefährlichen Mahul an die Spitze der Geheimpolizei sowie die leichte, aber sofortige Erhöhung der Zahl der zum Tode Verurteilten, die darauf gefolgt war (oder darauf folgen sollte …). Andere, die meisten sogar, waren bloß verschwommen und hatten sein Gedächtnis nur gestreift. Wieder andere blieben für ihn ungreif bar, obgleich sie ganz nahe waren – so schien es Axel zumindest –, unerreichbar, trotz seiner Versuche, sie zu fassen, als würden sie sich ihm absichtlich entziehen.
Ein verblüffendes Phänomen. Axel, der im Moment zu sehr in Eile und ganz auf seine Mission konzentriert war, beschloss, in einem passenden Moment mit Juan Vizol, dem Leiter des Instituts für Zeit, darüber zu reden (einem Mann, den er sehr schätzte und von dem er ahnte, dass er sich hinsichtlich der aktuellen Lage auf Renata dieselben schmerzlichen Fragen stellte wie er selbst). Einstweilen waren all seine Gedanken bei der Gefangenen auf Nomen. Und nachdem er das langweilige Labyrinth derRollbänder, Fahrstühle und Kontrollposten der Militärgebäude durchquert hatte, betrat er das Büro des hochgewachsenen Kommandanten Rafi, der eifrig gestikulierte und mit seinem schwarz gefärbten Bart und den ebenso schwarz gefärbten Haaren ehrlich gesagt ein wenig lächerlich wirkte.
In dem riesigen weißen Würfel von Rafis Büro hatte sich dann der zweite Zwischenfall ereignet, der ganz anderer Natur gewesen war und Axel sehr verdrossen hatte. Er unterhielt sich gerade mit dem lebhaften Rafi und dem genialischen Alec, als er plötzlich für eine gute Minute das Bewusstsein verlor. Der Elitearzt, nach dem umgehend geschickt wurde, stellte die unumstößliche Diagnose: psychogener Schwächeanfall, ausgelöst durch eine vom Reisenden als extrem beunruhigend erfahrene Situation. Die einzige rettende Probe, festgehalten auf einem feindlichen Planeten, die absolute Notwendigkeit und gleichzeitige Unmöglichkeit, sie von dort loszureißen, das alles erklärte die hohe nervliche Anspannung, der der treue Axel ausgesetzt war – erläuterte Luc (der Arzt) – und der er sich durch eine kurze Ohnmacht entzogen hatte. Axel stimmte dieser Erklärung zu, er erkannte ihre Richtigkeit an.
Was er ihnen hingegen nicht sagen und auch sich selbst nicht eingestehen konnte, war der wahre Grund für diese Anspannung. Sein Geist war für einen Augenblick in Panik geraten und geradezu erstickt, weil ihm Claras Leben kostbarer geworden war als das Leben seines Planeten, kostbarer als sein eigenes Leben. Die Angst, sie zu verlieren, spannte sich wie ein Schraubstock um ihn – und um zu vermeiden, dass sich die Backen dieses Schraubstocks noch fester zogen, war er ohnmächtig geworden.
Seine physische und seelische Energie kehrten zurück.
Doch der schwierigste und gefährlichste Teil seiner Mission stand noch bevor.
Wie gern hätte er vor der Abreise Gelegenheit gehabt, noch einmal Renata Salomone zu umarmen und ihre schöne helle Stimme zu hören, um sich Mut zu machen!
»Dann wollen wir Opera 2 mal wieder in uns aufnehmen«, flüsterte Axel Axel 2 zu, worauf hin das Rettungsboot umgehend über den roten Blumenteppich glitt und in Operas Schoß zurückkehrte, an seine übliche Stelle in dem weitläufigen würfelförmigen Saal, der (man erinnert sich) einem Sechstel von Operas Gesamtvolumen entsprach, und Operas Außenwand verschloss sich wieder, ohne dass an der Metallkapsel auch nur die kleinste Fuge zu erkennen war (als »Metall« wird hier eine Legierung bezeichnet, deren Eigenschaften geradezu an ein Wunder grenzen und die einst von jenem Mann entwickelt wurde, der Marieskis erster Assistent werden sollte, nämlich Guy Meranclano).
Kraft seines Geistes weckt Axel Clara sanft auf, damit sie die Gelegenheit hätte, sich anzuziehen und er kein zweites Mal in die Verlegenheit käme, ihre gedankenverlorene Nacktheit zu erblicken, dann näherte er sich Opera 2.
Gleichzeitig durchmaß er den Raum
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