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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Wasserhahn aufdreht und sich darauf hin in den Tiefen der Rohre wer weiß welche Widerwärtigkeiten ereignen)? Nein. Es war Irènes Telefon, das sie kurz vor der Ankunft der beiden anderen im Schlafzimmer liegen gelassen hatte und das nun die Gelegenheit nutzte, uns mit seinem Höllengesang zu foltern.
    Irène stürmte hinaus, brachte den Störenfried zum Schweigen und kehrte zu mir zurück, nicht ohne ein paar prüfende Blicke auf den Bildschirm des teuflischen, schwarzen Quaders zu werfen.
    »Sie sind sehr gefragt«, stellte ich fest.
    »Ja, nein, kommt darauf an. Wenn Sie Liebhaber meinen?«
    »Nein, nein.«
    »Habe ich auch keinen.« (Und mit einer anmutigen Geste, die genauso gut »ach ja« oder »was soll’s« bedeuten konnte, fügte sie hinzu:) »Habe ich nie einen gehabt …«
    Säuberlich voneinander abgesetzte und schön der Reihe nach geformte Silben, als sei die Sprecherin die Ruhe selbst, obwohl diese Vertraulichkeit, die mir selbst kein großes Unbehagen bereitete, sie in Wirklichkeit ganz nervös machte, aber Irène war derart sie selbst, so ganz Ausdruck ihrer egoistischen Wünsche, so ganz im Einklang mit sich, dass sie dem Nachdenken und der Verwunderung ihres Gesprächspartners zuvorkam, beide im Keim erstickte und ihr Gegenüber schlichtweg sprachlos machte. Kein Liebhaber weit und breit seit Anbeginn der Zeit? Sprach sie die Wahrheit? Ich war geneigt, ihr zu glauben. Und tat’s.
    »Wollen Sie denn nicht wissen warum?«
    »Doch«, sagte ich, ihre spontane Art imitierend.
    »Ich bin halt nie jemandem begegnet, den ich anfassen wollte oder von dem ich gern angefasst worden wäre: Abgesehen von Ihnen«. Sie bot sich mir an, ihr erster Blick im Café hatte es mir schon bedeutet, ja, sie bot sich mir an, auf eine Weise, die herzerweichend hätte sein können, wenn ihr Impuls nicht auch der eines hungrigen Raubtiers gewesen wäre, das sich mit weit aufgerissenem Maul auf seine Beute stürzt und ihr deutlich macht, dass es endlich den erträumten Leckerbissen gefunden hat.) »Kehren Sie nun wieder zu sich zurück?«
    »Ja. Danke für Ihre Hilfe. Bevor ich nach Hause fahre, mache ich noch einen kurzen Abstecher zum Place de l’Opéra. Nur so, ich könnte keine Ruhe finden, bevor ich nicht auf Claras Spuren zwischen der Rue Auber und der Rue Halévy auf und ab gehe.«
    »Kann ich Sie begleiten?« (Flehende Stimme.) »Ich möchte nicht allein hier bleiben! Bitte …«
    Kopfnicken, ich gewährte es ihr. (In Kapitel 19 – nicht dem folgenden kurzen, sondern dem danach – fällt mir die nicht ganz einfache Aufgabe zu, dem Leser zu erklären, warum ich Irène dies gestattete.) Ihr Lächeln war breiter als gewöhnlich, die wenig reizvolle Mimik ihrer in die Breite gezogenen, schmal werdenden Lippen, dass man vom Gesicht nur noch die kleineRundung der Nase sah: Lachen und Lächeln waren ganz offensichtlich nicht ihre Stärke.
    »Es gibt Tage, an denen fühlt man sich wirklich einsamer als an anderen«, sagte sie zu sich selbst.
    Sie langte nach einer dunkelgrünen Baumwollweste, und wir verließen die trostlose Rue Saint-Augre.
    Der Vollmond erhellte, wie nur der Vollmond es vermag, die Oper und ihre Umgebung.
    Ich stellte das Auto irgendwo ab.
    Die amerikanische Apotheke war rund um die Uhr geöffnet, wie uns ihr aufdringliches Blinken gnadenlos mitteilte.
    Wir schritten Claras Weg von der Apotheke bis zum Parkhaus ab.
    Es war in der Tat ziemlich unwahrscheinlich, dass es Miguel Herbé entgangen wäre, wenn Clara von ihrem Weg abgewichen und den breiten Schacht des Métro-Eingangs umrundet hätte, um mit dem Rücken zur Avenue de l’Opéra die Treppen hinunterzusteigen, wirklich sehr unwahrscheinlich.
    Nichts während dieser paar Schritte, kein besonderes Detail lenkte meine aufs Höchste gespannte Aufmerksamkeit auf sich.
    Ich habe unterirdische Parkhäuser noch nie gemocht, ich parke dort nie.
    Vielleicht stand der Austin nicht mehr dort, vielleicht war Clara zurückgekehrt, um ihn zu holen, vielleicht war Mireille Bel im Begriff mich anzurufen und mein Telefon würde gleich klingeln?
    Zweites Untergeschoss. Es war kein Polizist postiert. Aber der schwarze Austin stand noch immer da, hartnäckig in seiner Unbeweglichkeit verharrend, als verweigere er uns seine Hilfe.
    Wir kehrten zurück an die frische Luft.
    Leute und Häuser taten alles, was in ihrer Macht stand, um echt zu wirken.
    »Kann ich mir Ihre Wohnung ansehen? Bitte! Sie haben ja auch meine gesehen!«, flehte Irène im Auto.
    Ich gewährte es

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