Gesetzlos - Roman
Ende gesetzt, den ich daher lieber nicht beendete, sondern vorsorglich beim »duuuu …« abbrach.
Ich habe bereits erwähnte, dass Irène mit ihrer Atemnot-Geschichte am 27. »den Höhepunkt der Nervigkeit und Gehässigkeit« erreichte: Nun, ich hätte mir diese Aussage für den 28. aufsparensollen. Nachdem ihre verstockte Bitterkeit mich in eine Sackgasse getrieben hatte (ganz gleich ob ich mit ja oder nein antwortete, meine Verurteilung war gewiss), warf sie mir vor, nicht genügend Birnen zum Nachtisch gekauft zu haben. Ein unbegründeter Vorwurf. Gewiss, ich hatte keine Birnen nachgekauft, ich hatte nicht die Kraft gehabt, noch einmal hinauszugehen, aber davon war nie die Rede gewesen, es waren Kirschen und Erdbeeren übrig, sowie von dem Apfelmus, das sie tags zuvor noch genüsslich verzehrt hatte … aber genug, die Anekdote ist trivial und albern, ich füge hier meine Aufzeichnungen des folgenden Tages über die
Brot-Birnen-Episode
ein, wie ich sie in meinem Heft genannt hatte:
»Zu Beginn der Mahlzeit fragt sie mich, ob ich daran gedacht habe, Birnen zu kaufen. Nein. Unzufriedenheit. Mit der Handfläche reibt sie sich die hässliche runde Nase. Wie so oft, wenn sie mürrisch ist. Mahlzeit beendet. Ich bemerke, dass das Tablett sie stört, also nehme ich das Tablett und entferne mich, Protest: ›Warte, ich habe noch eine Scheibe Brot!‹ ›Entschuldige, ich dachte, du seiest fertig.‹ Ich stelle ihr das Tablett wieder auf die Knie. ›Was möchtest du zu deinem Brot?‹ ›Butter.‹ Schön, ich gehe Butter holen, sie bestreicht sich eine Scheibe, beißt hinein, ein Drittel der Scheibe muss dran glauben, so leicht heruntergeschluckt wie ein Glas Wasser, und während sie mit der Hand über ihre kleine Wölbung am Bauch fährt, die sie sehr beschäftigt, sagt sie zu mir: ›Ich esse zu viel Brot, findest du nicht auch?‹ Ich bin auf der Hut. Was soll ich antworten? Ich finde nicht, dass sie zu viel Brot isst, im Gegenteil. Nicht bei mir. Aber ich weiß nicht, was sie tut, wenn sie aus der Tür heraus ist, vielleicht bleibt sie an jeder Bäckerei stehen, um Brot in sich hineinzuschlingen, wenn sie sagt, dass sie zu viel Brot isst, isst sie vielleicht wirklich zu viel, ich weiß es nicht, schwierig, wenn man sie kennt, auf ihre Frage zu antworten. Also versuche ich, sie nicht bezüglich der Faktenlage zu beruhigen, sondern bezüglich ihrer Ängste, und versichere ihr, dass sie eine Figur hat, um die sie ausnahmslos jede Frau beneiden würde, und wenn sie sich aus imaginärenGründen darauf versteigen sollte, unbedingt dreißig oder vierzig Gramm verlieren zu wollen, gab es eine einfach umsetzbare Diät, von der sie mir selbst erzählt hatte, eine Zeitlang kein Brot und keinen Käse. Ah! Ich Unglücklicher hatte schon zu viel gesagt! Ich hätte durch Gestik und Mimik eine urplötzliche Erkrankung der Stimmbänder vortäuschen sollen, die mich aller Artikulationsmöglichkeiten beraubte, denn sie überschüttete mich auf der Stelle mit einer Flut von Vorwürfen: ›Was, was erzählst du da, du hättest sagen müssen, nein, du isst nicht zuviel Brot, und überhaupt (Todesstoß der Beschuldigung), wenn du daran gedacht hättest, Birnen zu kaufen, hätte ich weniger Brot gegessen‹: Ja, der Gipfel! Ihre Nervosität wächst zur Lawine heran, sie wird unausstehlich, beleidigend, zum ersten Mal sehe ich sie tadelnd an, ich fordere sie auf, sich zu mäßigen, ihre Salzsäure ein wenig zu verdünnen, sich auf der Stelle zu beruhigen, ansonsten könne sie gern die Tür nehmen. Hätte sie mich nicht heuchlerisch um Entschuldigung gebeten, um mich im Glauben zu wiegen, ihre Feindseligkeiten hätten damit ein Ende, hätte ich meine Drohung um ein Haar in die Tat umgesetzt.«
Ich sollte die Drohung am 30. in die Tat umsetzen, nachdem ich sie den ganzen Tag des 29. gewälzt und mir gesagt hatte, dass ich noch eine Nacht brauchte, die kommende Nacht, die Nacht vom 29. auf den 30., damit die arme Maggie, ehemalige Grundschullehrerin, diese Nehmen-aber-nichts-geben-Maschine, diese durchtriebene Seele, der noch der kleinste Anflug von Großzügigkeit fremd war, damit die arme Maggie ihre Rolle mir gegenüber vollkommen ausspielen konnte – ihre Rolle, die sie in meinem Leben spielen sollte, bevor ich sie (hinaus mit dir, du Schlange!) in ihre trübselige Dreizimmerwohnung in der Rue Saint-Augre zurückschicken würde. Am 30. würde es ein Klickgeräusch geben (ich hörte schon im Voraus den dumpfen Schuss), und von diesem
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