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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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abstoßend, ihr beim Essen zuzusehen, noch sich vorzustellen, wie die Nahrung vom Mund bis zur puerilen Öffnung einen geschmeidigen, quasi lasziven Weg zurücklegte.
    Nach den Birnen sprach sie etwas an, das sie von der Logik her schon früher hätte erwähnen müssen, doch hatte die Erinnerung daran offenbar erst in dieser Sekunde ihren Geist gestreift, und ihr folgender ausgedehnter Bericht schien mit Lügen gespickt und von vorn bis hinten erfunden zu sein (was aber nicht der Fall war). Nach dem Schwimmen war sie in Begleitung von Inès in eine Bar gegangen, und Inès hatte ihr offenbart, aufgrund welcher Verkettungen von Ursache und Wirkung es Miguel gelungen war, Claras Entführung mit der gebotenen Genauigkeit zu planen. Also. (»Sie werden es auch keinem weitersagen?«) Inès (die im Gegensatz zu Irène und trotz ihrer eifrigen Bemühungen um ihren Bruder einen Liebhaber nach dem anderen um den Finger wickelte, so wie auch Miguel seine Eroberungen sammelte) hatte eine Beziehung mit einem gewissen Maurice Lazuret gehabt, der zufälligerweise Wächter am Musikkonservatorium von Garches war (ein Mann, den Michel Nomen nicht mochte und vor dem er auf der Hut war, wie ich von Clara erfahren sollte). Dieser Maurice Lazuret war ein verschlagener, hinterhältiger Kerl und Schnüffler. Intimitäten mit Inès, vorsichtige, mit der Zeit immer offenere Vertraulichkeiten, Auftritt Miguel. Lazuret erklärt sich bereit, gegen ein gutes Honorar ein bisschen für ihn zu spionieren, und bald weiß Miguel genug über die Nomens, um die Sache anzugehen.
    »Inès trifft sich gar nicht mehr mit diesem Maurice«, fügte Irène hinzu. »Zur Zeit ist sie solo. Miguel nicht. Er hört nie auf …«
    Miguel Herbé habe gerade eine leidenschaftliche Affäre mit einer Musikerin, sagte sie mir. Und sie erzählte mir davon, eben weil diese Frau Musikerin war, Cembalistin, eine große Blonde mit dünnen Lippen, »nein, ich habe mich geirrt, ich verwechsle sie mit der davor, die Musikerin ist eine kleine Brünette mit dickenLippen, alles ist klein an ihr, außer ihren Lippen«, worauf Irène, dieser Kindskopf, von ihrem eigenen Späßchen erheitert, ihre übliche trockene Lachsalve abfeuerte.
    Dienstag, der 27., nachmittags, sechzehn Uhr: rotes Heft.
    Um sechzehn Uhr dreißig schlug ich das dunkelgrüne Musikheft auf, das auf dem Klavier lag, und besah mir die paar Ideen, die ich ’06 aufgeschrieben hatte. An zwei von ihnen fand ich immerhin so viel Gefallen, dass ich eine Stunde darauf verwendete, sie weiter auszugestalten.
    Um siebzehn Uhr dreißig lüftete ich das Zimmer und wechselte die Bettwäsche.
    Gleich neben dem Stuhl, auf dem Irène manchmal ihre Sachen ablegte, hob ich von dem blauen Teppich eine CD auf, die ihr wahrscheinlich aus der Handtasche gefallen war. »Les Brigands«, so hatten sich ’89 die sieben singenden und spielenden jungen Männer genannt, die die Platte aufgenommen hatten. Aus Muße und aus Neugier hörte ich
Quelqu’un d’autre
(
Ein anderer
) an, das erste Stück, kärgliche Worte, klägliche Stimmen und kümmerliche Musik, und ich, der ich in meinem Leben nie getanzt hatte – so selten, dass man sagen könnte gar nicht –, vor allem nicht allein zu dieser Art von Klangwellen, die gegen mein Trommelfell brandeten, ohne es wirklich zu überwinden, nun, an diesem Tag, als
Quelqu’un d’autre
immer wieder auf meinem (erzürnten) M+A Mimetism II-Plattenspieler abgespielt wurde, stellte ich in meinem Wohnzimmer zwischen meinem Sofa und meinen (verdatterten) Spendor-Lautsprecherboxen allerlei Verrenkungen an: gebeugte Beine, Hintern und Arme nach rechts, Knie nach links, und dann plötzlich umgekehrt, usw., ganz zu schweigen vom Kopfnicken, Aufstampfen mit den Fersen sowie den gemeinsam oder abwechselnd gen Himmel gestreckten Armen, und so weiter bis zur völligen Erschöpfung.
    Ein grausiger Anblick, ein Anfall unmenschlicher Raserei (den ich Irènes Gegenwart in meiner Wohnung zuschrieb – ich sage eslieber gleich, bevor der dumme Eindruck entsteht, ich habe dies nur andeutungsweise zu verstehen geben wollen –, vielleicht würde auch Maximes Beerdigung tags darauf ihren Platz in der Erklärung dieses Phänomens finden, wer weiß), der mit einem apathischen Zusammensacken auf dem Sofa endete, begleitet von pfeifenden Lungen und plätschernden Schweißströmen.
    Den Rest des Nachmittags verbrachte ich lediglich damit, eine Flasche Mineralwasser zu kaufen und sie zu trinken.
    Irène brachte abends Kaviar mit

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