Gesetzlos - Roman
(von einem kleinen Luxussupermarkt am Quai Fleury, wie sie mir erklärte, der wegen der hervorragenden Qualität seiner Produkte immer proppenvoll war, tja aber der Mann an der Kassenschlange vor ihr hatte alle zwölf Sekunden geniest, und alle zwölf Sekunden hatte auch sie ihrer Angst Ausdruck verliehen, er könne sie mit Viren und Mikroben anstecken). Wenn man von den russischen Salzgürkchen absah, war es das erste Mal, dass sie etwas für unser Abendessen ausgegeben hatte. (Sie war geizig, knauserig, dem Geld sehr zugetan, wenn sie in ihrem Portemonnaie wühlte, steckte sie die Nase so tief hinein, als wollte sie den Münzen, denen plötzlich eingefallen wäre, fortzufliegen, den Weg versperren.) Dass sie sich selbst zwei Drittel der Kaviarbüchse gönnte, war mir gleich, ich bin ohnehin nicht verrückt nach Kaviar. Ihre Aufforderung hingegen, ich solle meinen Teller ablecken (so wie sie es mit ihrem machte), damit nicht das kleinste Fitzelchen vergeudet wurde, brachte mich beinahe zur Raserei, aber nur beinahe, na schön, ich leckte den Teller ab, schließlich übte sie ihre Tyrannei mit meiner Einwilligung aus, und, wie ich oft genug wiederholt habe, wäre sie nur von kurzer Dauer.
Aber war sie nicht auch tyrannisch, als sie klagte, sich den Hals verrenken zu müssen, um die Fernsehnachrichten zu sehen (in der Hoffnung, dass Neuigkeiten über Clara kämen? Vielleicht. Schlechte Neuigkeiten? Trotz allem war ich davon noch nicht überzeugt): Wie war ich nur auf die absurde Idee gekommen, den Fernseher ausgerechnet dort zwischen den beiden Fenstertürenaufzustellen, so weit links vom Sofa? Ich erklärte, dass ich sehr selten fernsah, dass mir diese Stelle folglich nur logisch erschienen war, am wenigsten störend, ich erklärte warum, in Bezug auf die Wände, die Öffnungen in den Wänden sowie die anderen Gegenstände, die sich im Raum befanden, und ich sagte ihr schließlich (was ich nicht hätte tun sollen), dass sie in der Weise, wie sie sich zum Essen nach vorne beugte, mich daran hinderte – mich –, und zwar ganz gleich ob ich den Hals reckte oder nicht, zu sehen, was sich auf dem Bildschirm abspielte, was mich nicht übermäßig störte, wie ich eilig hinzufügte, denn ihr finsterer Blick durchbohrte mich, immer die gleiche Geschichte, sie konnte das Bad überschwemmen und mir einen Vorwurf wegen drei Tropfen Wasser auf dem Rand des Waschbeckens machen, mühelos erkannte sie den Splitter eines Moleküls im Winkel meines Auges, während sie sich nicht an den gebündelten Balken störte, die ihr von jeder Wimper herabhingen, und im Übrigen erreichte sie an diesem Abend des 27. (dem Tag, an dem wir uns schließlich duzten) den absoluten Höhepunkt der Nervigkeit und Gehässigkeit. Gegen dreiundzwanzig Uhr – als wir uns aufs Bett legten – klagte sie (nach einem erzwungenen Niesen, als Folge der andauernden Angst vor dem verschnupften Mann an der Supermarktkasse) plötzlich darüber, ihre fiele das Atmen schwer, sie bekäme keine Luft, sie ränge nach Atem. Ich mimte die professionellen Handgriffe einer ärztlichen Untersuchung (wie ich es inzwischen bei ihr gewohnt war) und bat sie langsam und tief einzuatmen, so, gut, ich legte mein Ohr an ihre Brust, noch einmal, so, gut, und sagte, aber nein mein Schatz, kein Grund zur Sorge, deine Lungen sind perfekt, du atmest wie du lügst, während ich meinen Körper an ihren schmiegte, meinen Kopf zwischen ihre Beine legte und eifrig ihre auf blühende Ritze leckte, um einem möglichen Wutausbruch in Reaktion auf meine schelmische Diagnose zuvorzukommen.
Am Morgen, bevor ich nach Saint-Maur auf brach, hinterließ ich ihr einen Zettel, auf dem ich ihr mitteilte, dass ich vielleichtnoch nicht zurückgekehrt sein würde, wenn sie aufwachte, aber dass in der Küche alles für ihr Frühstück bereitstand.
Tatsächlich unterhielt ich mich nach dem Begräbnis noch lange mit Anabel Trieste (einer Frau, die genauso schön war, wie ich es erwartet hatte, und die Maxime vergöttert hatte, wie sehr, wurde mir erst jetzt klar), dann aßen wir gemeinsam zu Mittag. Ich begleitete sie nach Hause, denn sie war mit dem Taxi gekommen, allein, mit dem Taxi, weil ihr Auto in der Werkstatt war, sie hatte einen Unfall gehabt, nein, nichts Schlimmes – aber ich unterbreche den Fluss meiner Aufzeichnungen, die absurderweise nur dazu bestimmt sind, mir zur verhehlen, dass ich tot bin, dass ich an diesem Tag gestorben bin, am Tag von Maximes Beerdigung.
Um vierzehn Uhr dreißig
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