Gesetzlos - Roman
Klickgeräusch an wäre die Trennung eine Frage von Leben und Tod, es ginge um sie oder mich. Arme Maggie? »Arm«?Das war nicht gesagt. Vielleicht wälzte sie ähnliche Gedanken wie ich? Vielleicht wusste sie auf ihre Weise, dass der Moment nicht mehr fern war – es war eine Frage von Stunden –, dass jeder vom anderen alles genommen hätte, was er nehmen konnte, und es darauf hin für uns gefährlich würde, uns noch länger am selben Ort aufzuhalten, diese Liebe ohne Liebe fortzusetzen, aus der wir nur Schwäche und Tod ziehen konnten?
Als ich ihr jedenfalls am Donnerstagabend den 29. nach dem Abendessen (Cannelloni, die für ihren Geschmack zu viel Fleisch enthielten) meine Theorie bezüglich unserer Trennung darlegte, meine Theorie bezüglich der Tatsache, dass wir uns ab dem folgenden Tag nicht mehr sehen würden, erhob sie zu meiner großen Verwunderung (aber war ich wirklich so verwundert?) keinerlei Einwand. Sie hörte mir zu und nickte gelegentlich. Warum? Weil ihr Egoismus dabei auf seine Rechnung kam und eine Trennung den Beschlüssen ihres eigenen Schicksals entsprach? Oder auch weil sie – der Gedanke tat mir weh – meinen Worten aufmerksam und mit der naiven, scheuen Gutgläubigkeit eines Welpen folgte? Manchmal stand ich am Rande, am äußersten Rande der Rührung. Gab es im tiefsten Innern ihrer Schwärze nicht doch einen prächtigen Garten, der von sichtbaren, hörbaren, duftenden Schwingungen erfüllt wurde, ausgesandt von Quellen, hohen Gräsern, Blumen und allerlei anderen einfachen und schönen Dingen, die sich strahlend von dem himmelblauen Hintergrund abhoben?
Wie dem auch sei, nichts hinderte uns daran (ganz im Gegenteil, wenn man mir gefolgt ist), uns nachts in den Abgründen der Einsamkeit zu vereinen (und den zweistimmigen Lustgesang unserer sechs gemeinsam verbrachten Tage auf unseren Lippen ertönen zu lassen).
So kam der letzte Tag.
Am Freitag, den 30. Mai, gegen Mittag, nachdem sie geduscht und das grüne Kleid, in dem ich sie kennengelernt, übergezogen hatte und sich auf ihre höchsten Stöckelschuhe geschwungen hatte,und nachdem sie stumm und in aller Ruhe mit ausdruckslosem Gesicht ihre Sachen zusammengepackt hatte, nachdem sie den Klingelton ihre Telefons (für einen Moment mit schelmischem Gesicht) wieder in den Kreischmodus gesetzt hatte, gab mir Irène einen Abschiedskuss auf die Wange und ich ihr auf ihre.
Es war der Sonne nicht gelungen, einen Abdruck auf ihrer Haut zu hinterlassen, sie blieb blutweiß.
Ihr kastanienbraunes mit dem Handtuch durchgerubbeltes Haar war noch feucht von der Dusche. Wie immer, wenn sie ging.
Aber heute zitterten ihr die Hände.
Glücklicherweise half sie mir, einen Anflug der Rührung zu überwinden, in Asche zu verwandeln, indem sie mir den Todesstoß versetzte.
Sie stand auf dem Treppenabsatz.
Und plötzlich sagte sie ganz leise, mit einer Stimme, wie ich sie nie zuvor von ihr gehört hatte, hastig, aber alle Silben deutlich voneinander absetzend, die sie mir mechanisch ins Gesicht ratterte:
»Was, wenn ich mich umbringe? Ist doch wahr, wie kannst du dir sicher sein, dass ich mich nicht umbringen werde?«
Wutentbrannt begann sie die Arme zu bewegen und mit den Händen kleine schnelle Kreise in die Luft zu zeichnen, es war erschreckend.
Sich umbringen! Sie, die lieber die ganze Menschheit verrecken ließ, als auch nur einen Kratzer auf der eigenen Wange hinzunehmen!
Ja, aber das war nicht dasselbe … wer weiß ob …?
Ich bekam es mit der Angst zu tun.
Glücklicherweise – und hier kam der befreiende Todesstoß – fügte sie hinzu, wobei sie ihrem Satz das feindliche Fauchen einer Katze vorausschickte, die zum Sprung ansetzt:
»Stimmt, dann hättest du zwei Selbstmorde auf dem Gewissen!«
Ihre Augen waren die des Teufels persönlich, als sie diese vor Bosheit triefenden Worte sprach (einer so unglaublichen Bosheit, dass ein Selbstmord schlichtweg ausgeschlossen war, wie ich mir schließlich sagte), Worte, die das Band unserer Beziehung wie ein Axthieb durchtrennten.
Nach einem letzten hasserfüllten Blick vollführte Irène Maggie Perking noch eine letzte Drehung auf dem Treppenabsatz und verschwand dann ein letztes Mal im Treppenhaus, ohne sich umzusehen.
»Leb wohl«, rief ich ihr hinterher.
Doch rief ich dieses Leb wohl mit zu schwacher Stimme, als dass sie es hätte hören können, ganz davon abgesehen, dass schon wieder das Tosen ihres Telefons wie ein Klang-Orkan durchs Treppenhaus fegte.
So trat sie auf ebenso
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