Gesetzlos - Roman
gerade aus der Wanne steigen wollte, mit dem rechten Knie gegen die Tür eines offenstehenden Schranks. Es blutete ein wenig. Im Schrank fand sie alles Nötige, um ihre Wunde zu versorgen.
Axel machte sich Sorgen wegen des Pflasters auf dem Knie der jungen Frau. Sie beruhigte ihn: nichts Schlimmes, versicherte sie.
Axel versuchte sie den ganzen Nachmittag in einem Zustand friedlicher Traurigkeit zu bewahren, dem am wenigsten schmerzhaften Zustand, den er ihr im Moment bereiten konnte.
Schweigend aßen und tranken sie in so trautem Miteinander, dass Axel den unwiderstehlichen Drang verspürte, Clara rückhaltlos alles von seinem eigenen Leben zu erzählen. Er ließ nichts aus, nicht einmal die Episode mit Christina, sodass Clara am Ende des Nachmittags ebenso viel über ihren Gefährten wusste, wie Renata mit ihren Heilkünsten.
Clara machte sich Sorgen, was mit ihm geschehen würde, nachdem er sie wieder nach Hause, nach Saint-Maur gebracht hätte und er auf seinen Planeten zurückkehrte. Axel weihte sie in die raffinierte Lüge ein, mit der er Rafi täuschen wollte, um ihm den Misserfolg seiner offiziellen Mission zu erklären.
Unentwegt bat er Clara um Verzeihung. Aber Clara war vor allem gerührt, wie sehr Axel darauf bedacht war, sie zu schützen – und wenn es ihn das eigene Leben kostete, wie ihr insgeheim bewusst wurde und wie sie fürchtete.
Die unsichtbare Raumkapsel setzte unendlich sanft auf dem Boden der Impasse du Midi auf. Die Stunde des Abschieds hatte geschlagen.
»Es ist Zeit«, sagte Axel und reichte Clara beide Hände. »Ich bin glücklich, dass ich Sie wieder nach Hause bringen konnte.«
Sie ergriff seine Hände und dankte ihm, ihr das Leben gerettet, indem er sie nicht nach Renata gebracht, und das Leben geschenkt zu haben, indem er sie Nomen entrissen hatte. Beglückt von diesen Worten lächelte Axel sie an. Er war kleiner als sie, und sein breites Lächeln entstellte seine ohnehin schon wenig anmutigen Gesichtszüge, aber die Liebkosung seines Blickes war noch betörender als sonst.
Sein blau-grauer Anzug, den vier Orden zierten, war glatt und sauber, es sah aus, als hätte er ihn gerade erst erworben.
Derselbe Impuls ließ sie einander in die Arme fallen. Sie drückten sich heftig.
Und Axel gab der Erde, ihrer Heimat, jene Frau zurück, die er ihr am 24. Mai um fünfzehn Uhr entrissen hatte und die auf dieselbe Weise verschwunden war, sagte er sich mit bitterer und tiefer Reue, wie die zum Tode Verurteilten auf Renata – doch als er sie wieder sichtbar werden ließ, hatte er den berückenden Eindruck, sie wieder zum Leben zu erwecken.
Ohne jede Erschütterung, ohne den kleinsten Höhenunterschied unter ihren Füßen zu spüren, ließ Clara den Raum von Opera hinter sich, ebenso leicht, wie sie sechs Tage zuvor dorteingetreten war. Erneut berührte sie den Asphalt ihrer Straße, mit der kleinen grauen Handtasche in der Hand, als würde sie eben von einem Spaziergang heimkehren.
Nach einigen Schritten drehte sie sich um. Ihr Retter und sie blickten sich ein letztes Mal an – zumindest hielt sie es für das letzte Mal –, dann – mit der Operation war Axel 2 betraut – wurden Axel und Opera für Clara unsichtbar. Sie sah nichts mehr, weder Axel noch die herrliche Raumkapsel (die weiß, glänzend, glatt und ohne jede Fuge war, Guy Meranclanos Meisterwerk, Clara hatte sich den Namen des Erfinders dieser perfekten Legierung gemerkt, aus der Operas Hülle bestand), diese herrliche und behagliche Raumkapsel, die ihr zu einem Zeitpunkt als Zuflucht gedient hatte, als Saint-Maur für sie zum unbewohnbaren Ort des Unheils geworden war.
Sie sah nichts mehr außer der Impasse du Midi, das kleine bewaldete Nachbargrundstück mit den seltsam regelmäßig angepflanzten Bäumen und ihr Haus, sowie das andere Haus am Ende der Impasse, das hinter den Baumkronen verborgen war, das Haus Nummer 3 mit seinem unwirklichen Bewohner, an den sie keinerlei Erinnerung, den sie nie gesehen hatte.
Ihr grünes Kleid war in Opera verblieben. Sie trug noch immer das granatrote Kleid, dessen samtiger Stoff den Blicken und der Haut so schmeichelte.
Sie stieß die Gittertür auf und betrat den Park.
Da stand sie wieder vor der Tür jenes Anwesens, das sie so viele Jahre gemeinsam mit Michel bewohnt hatte.
Ein schöner Sommertag mit seiner lauen, betörenden, leicht feuchten Luft neigte sich dem Ende zu, es war die Stunde, in der die Bäume und Blumen die sanftesten Farben und Düfte verströmten.
Clara
Weitere Kostenlose Bücher