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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Leichtigkeit, mit der sie sich diese Dinge ausdachte, obwohl sie sich das bis dahin gar nicht zugetraut hätte.) Nämlich: Nach einem furchtbaren Streit mit Michel – ja, den hatte es leider gegeben! – war sie von einer Stunde auf die andere in eine tiefe Depression gefallen, begleitet von wahnhaften Zuständen, sodass sie alle Selbstkontrolle verloren hatte. Sie war einfach losgelaufen, abgehauen, ohne irgendjemandem Bescheid zu geben – sie war ausgerissen, wie eine stromernde Teenagerin, die sich von vagen Bekanntschaften an alle möglichen Orte mitnehmen lässt, Leute, die ebenso sympathisch wie zwielichtig waren. (»Aber ich habe nichts Böses getan, Alma, wenn du verstehst, was ich meine. Nichts Böses!«) Erst letzte Nacht (log Clara weiter) hatte sie von Michels Selbstmord erfahren und dass er am 29. beigesetzt werden sollte. Auf einen Schlag war sie wieder in die Realität zurückgekehrt und war eilignach Saint-Maur zurückgefahren, krank, mit Bauchschmerzen und Übelkeitsanfällen, die sie stundenlang gepeinigt hatten. Nun ging es ihr endlich besser, sie kehrte allmählich ins Leben zurück – und hatte sich nun geradezu aufs Telefon gestürzt, um die Stimme ihrer Alma zu hören.
    Sie weinten und waren entsetzt über den bösen Fluch, der offenbar noch immer über der Familie Nomen schwebte.
    Clara wollte diese sechs Tage lieber vergessen, sagte sie anschließend zu Alma. Um nicht die Leute zu kompromittieren, die sie zu ihrer Herumtreiberei angestiftet und dabei begleitet hatten, es war unnötig, schließlich hatte man sie zu nichts gezwungen. Mit einem Wort, sie wollte weder den Verwandten, noch der Polizei die Wahrheit sagen und einfach behaupten, nach dem Streit mit ihrem Onkel und dem Besuch bei Mireille Bel hätte sie fliehen, sich verstecken, sich den Blicken der Welt entziehen wollen. Was hatte sie dann gemacht? Nun, sie war in die U-Bahn und dann in einen Zug gesprungen und hatte sich bei ihr in der südfranzösischen Villa verkrochen, bei ihr, die sie als eine Mutter betrachtete. Schließlich (und an der Stelle verkomplizierte sich das Lügengebilde) hatte sie Alma Perez gebeten, ihren Wunsch nach Einsamkeit zu respektieren und das Geheimnis zu wahren. Alma hatte dies bereitwillig akzeptiert, und so hatte mehrere Tage lang niemand irgendetwas von Clara gehört …
    War Alma einverstanden, sie bei dieser harmlosen Verzerrung der Wahrheit zu unterstützen? »Aber ja, mein Schatz, aber ja, ich bin einverstanden, du warst hier bei mir und ich habe niemandem etwas gesagt!« Niemandem, nicht einmal dem Polizisten, der sie am 25. abends angerufen hatte, einem gewissen Kommissar Tugsa.
    »Ein Polizist? Ich möchte nicht, dass du meinetwegen Schwierigkeiten bekommst!«
    »Was für Schwierigkeiten? Ich habe nur den Wünschen meiner Enkelin entsprochen, sich bei mir, in meiner Gegenwart auszuruhen.«
    (Im weiteren Verlauf der Geschichte sollte Alma Perez diese Version so überzeugend und eindrücklich erzählen, dass sie beinahe selbst daran glaubte.)
    »Danke, du bist ein Engel«, sagte Clara.
    »Er war sehr freundlich, dieser Tony Tugsa. Genau, Tony, jetzt fällt mir sein Vorname wieder ein. Sehr sanft und einfühlsam …« (Sie schluchzte auf.) »Michel, dein Onkel! Wie entsetzlich! Er war immer so nett zu mir! Mehr als nett … ein Bruder. Nie wieder habe ich mich von jemandem so respektiert gefühlt. Und du warst das Baby, das ich nie bekommen habe, das weißt du!«
    Dann kam sie auf ein Thema zu sprechen, dass ihr offenbar unangenehm war. Gewiss, sie hatten viel miteinander telefoniert und sich mehr als einmal ihrer gegenseitigen Zuneigung versichert, aber sie machte sich Vorwürfe, dass sie sich in den beiden letzten Jahren zu sehr aus Claras Leben herausgezogen hatte. Der Grund dafür war, dass Marcus, ihr Mann, sie wenig dazu ermunterte, ihre Villa zum blauen Himmel zu verlassen oder Gäste zu empfangen. Vielleicht hatte er endlich entdeckt, was für ein Schatz Alma war, vielleicht hatte er sie über die körperliche Liebe wiederentdeckt (ich, Luis, stelle diese Mutmaßungen an, die meines Erachtens implizit in Almas Äußerungen steckten, zumindest so wie Clara sie mir überbracht hat), mit einem Wort, er war trotz ihres Alters mehr in sie verliebt, als er es je zuvor gewesen war, zu jener fernen Zeit ihres ersten gemeinsamen Lebens (wie Alma explizit zu Clara sagte), und er war besitzergreifend, eifersüchtig geworden. Tyrannisch. (Sie selbst, gab sie offen zu, neigte zur Unterwürfigkeit,

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