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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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ihn Cathys Freundinnen allerdings). Es sah aus, als würde er hinken. (Ja, er hinkte ein wenig.)
    Er erblickte mich, als ich mit Cathy das Café de la Rue verließ.
    Mornais, der Direktor, der hinter dem Tor stand, erblickte mich ebenfalls. Neben anderen ausgeprägten Charaktereigenschaften zeichnete sich dieser Lump dadurch aus, dass er gern herumspionierte. Wie mir schon häufiger aufgefallen war, spionierte er jedem nach.

K APITEL 5
DIE PSEUDONYME DES MAURICE DUPLAT
    Was mir hier gerad widerfährt,
Werde ich der Erde sagen
Wenn man mich zu Grabe trägt
.
Flamencolied (Anonym)
    Der Sonne Strahlen, verloren
zwischen ungewissen Schatten
.
Théophile de Viau,
La Maison de Sylvie

Schon seit Jahren hätte Sylvie nichts dagegen einzuwenden gehabt, bei den Nomens zu wohnen. Eher noch um in der Nähe ihrer Tochter zu sein als um der Kinder willen, denn eigenwilliger Weise fühlte sie sich den Menschen in deren Kindheit nicht besonders nahe. (Selbst ihrer eigenen Tochter gegenüber hatte sich das volle Ausmaß ihrer Liebe erst entfalten können, als Éva sechzehn, siebzehn Jahre alt geworden war.)
    Doch dazu war es nie gekommen. Das Thema war in der Familie nie angeschnitten worden. Wenn Albin es angeboten hätte, vielleicht. Aber Albin hatte nichts angeboten. Und Sylvie war nicht unglücklich allein, sie war reich und begehrt (und sie sah ihre Tochter, so oft sie wollte).
    Selbstverständlich zog sie gleich am Tag nach dem unheilvollen Ereignis in die Avenue Foch.
    Sylvie war eine kleine dunkelhaarige Frau, lebhaft und charmant, und wirkte viel jünger als sie tatsächlich war. Sie war nicht nur untröstlich über Évas Tod, sondern auch bestürzt von dem Kummer der Kinder, besonders dem von Lucie. Für die beiden, und sei’s auch nur für die beiden, riss sie sich zusammen. Sie sorgte für ihre Enkel, bis Lucie achtzehn wurde (und Michel fünfundzwanzig).
    Mit Michel hatte sie keine Probleme. Er wurde von ganz allein groß, verstand alles, machte alles, was erledigt werden musste zu dem Zeitpunkt, wenn es erledigt werden musste, aus eigenemAntrieb. Es war unfassbar, geradezu erschreckend. Sie erinnerte sich nicht daran, ihm jemals auch nur den leisesten Vorwurf gemacht haben zu müssen. Dank seiner Leidenschaft für die Malerei und seines Lerneifers schien er seit dem dramatischen Ereignis eine Art Gleichgewicht gefunden zu haben.
    Bei Lucie gestaltete es sich sehr viel schwieriger. Im ersten Jahr fehlte sie jeden dritten Monat in der Schule. (Sylvie, die ursprünglich Lehrerin gewesen war, gab ihr Bestes, um sie auf dem erforderlichen Niveau zu halten.) An manchen Tagen fühlte sich Lucie zu schwach und niedergeschlagen, um auch nur einen Schritt zu zun. Sie konnte sich nicht damit abfinden, ihre Eltern niemals wieder zu sehen. Am Abend, wenn Sylvie sie auf dem Bett sitzend ertappte, mit starrem, reglosem Blick, hatte sie den schmerzlichen Eindruck, dass Lucie auf Albin wartete, als würde er gleich die Treppe hochsteigen und von einer Sekunde zur anderen die Schlafzimmertür aufstoßen.
    Die Freunde der Nomens, die Tormonds, waren seit dem Drama des 6. Juni ’66 am Boden zerstört. Das Freundschaftsband zu Éva war so stark gewesen und die Umstände des Mordes so entsetzlich! Für Lucie wären sie zu allem bereit gewesen, und in den ersten Monaten hielten sie sich regelmäßig in der Avenue Foch auf. Aber allmählich überkam sie die Ahnung, dass man ihre Anwesenheit mit der Zeit weniger schätzte. Genau genommen war es Lucie, die es nicht mehr ertrug, irgendeine der alten Bekanntschaften zu sehen, und es ihrer Großmutter auch sagte. Alle fühlten sich zunehmend unwohl, Hugues und Hughette Tormond kamen nur noch selten und schließlich gar nicht mehr, riefen nur noch gelegentlich an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
    Lucie wollte nur noch Michel und Sylvie um sich herum haben, und den Kater Kolia. Michel kümmerte sich liebevoll um seine Schwester. Sie liebten sich noch immer abgöttisch – aber mit der Zeit, und ohne dass Michel sich erklären konnte warum, wo er doch in der Lage war, so viele Dinge zu erklären, fühlten siesich einander weniger nahe. Der Tod der Eltern hatte eine Kluft zwischen ihnen entstehen lassen, die je nach Lebensabschnitt mehr oder weniger deutlich zu spüren war und nie vollständig überwunden wurde (beziehungsweise erst viel später, während und vor allem nach Lucies Schwangerschaft).
    Die Bindung zwischen Lucie und Kolia wurde hingegen immer stärker. Der vom Charakter her

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