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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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die Tür. Er hatte noch keine heiße Spur. Bislang hatte sich kein einziger Zeuge gefunden, der den von Cathy beschriebenen Mann gesehen hatte, und in den Polizeiakten gab es niemanden, der ihrer Personenbeschreibung entsprach. Gusta hatte einen Teil der Nacht mit Recherchen verbracht.
    »Ich fühle mit Ihnen«, sagte er, bevor er mich entließ. »Ich weiß, dass Ihre Trauer tief und aufrichtig ist.«
    Über die Tiefe seiner Aufrichtigkeit mochte ich hingegen keine Aussage treffen.
    Und diese Hässlichkeit, dieses gerunzelte Gesicht, mein Gott, diese Hässlichkeit!
    In den folgenden Tagen sah ich Maxime häufig. Abgesehen von einigen Behördengängen, die für seinen Umzug nach Tunis nötig waren, hatte er alle Zeit der Welt.
    Ich brauchte seinen Beistand und seine Ermahnungen, ich solle auf mich aufpassen. Dass er mich aufforderte zu kämpfen, war wohltuend für mich.
    Wir hörten Musik, spielten Schach, gingen ins Restaurant und ins Kino. Das Bild von Cathy im Krankenhausbett verließ mich keine Sekunde. Manchmal hatte ich auch das ernste, gute, vertrauensvolle Gesicht des armen Antons vor Augen.
    Der Täter wurde nie gefunden.
    Antoine Gusta teilte mir mit, Cathys Vater sei in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden, da er nach nur wenigen Stunden in schwere Depressionen verfallen war.
    Das ganze Institut Benjamin war über die Nachricht von Cathys Tod geschockt.
    Nach dem Vorfall wurde mein Verhältnis zu meinen Vorgesetzten noch gespannter. Hätte sich zu dem Zeitpunkt eine andere Arbeit geboten, selbst wenn sie weniger interessant gewesen und weniger praktisch gelegen wäre, hätte ich keinen Augenblick gezögert und das Institut auf der Stelle verlassen, um diese elenden Kerle Mornais und Quiret nicht mehr sehen zu müssen.
    Seit ich Maryse Étrelat im
Action Christine
in Begleitung ihrer cinephilen Mutter getroffen hatte, war Maryse meine Gegenwart unbehaglich – ein Unbehagen, das schlichtweg lächerlich war, schließlich waren nicht alle meine Schülerinnen wie Cathy.
    Das Schuljahr endete, ohne dass die Ermittlungen von Gusta und seinem Team vom Fleck gekommen wären. Niemand hatte den Mörder mit dem Leinenanzug gesehen. Zeugenaufrufe, diversepolizeiliche Beschattungen und die Zusammenarbeit mit Interpol hatten zu nichts geführt.
    Am 10. Juli, knapp drei Wochen nach dem Vorfall, brach Maxime nach Tunis auf. Es ging mir besser, ich hatte den Schock angesichts dieses grausamen Ereignisses halbwegs überwunden. Nur so lange wie es brauchte, um sich einzurichten und die neue Mission in die Wege zu leiten, sagte Maxime, dann würde er mir einen Termin in der zweiten Augusthälfte vorschlagen, und wir sähen uns bei ihm in Tunis wieder.
    Am 11. riskierte ich einen Anruf bei Mathilde Étrelat. Ich war etwas verlegen, als sie abhob, aber ihre Freude, mich zu hören, und ihre Spontanität halfen mir schnell aus der Bredouille. Wir kamen auf die Geschichte mit Cathy zu sprechen. Die Eltern der Schüler waren allesamt entsetzt.
    Sie unterhielt sich mit mir, als hätten wir uns schon vor langer Zeit zu diesem Anruf am 11. um genau diese Zeit des späten Nachmittags verabredet – und vereinbart, am späteren Abend gemeinsam
Each Dawn I Die
(1939) von William Keighley anzusehen (von diesem Regisseur kannte ich bisher nur
Bullets or Ballots
, 1936). Sie sagte, sie habe alle Zeit der Welt. Sie war alleine. Maryse verbrachte vierzehn Tage bei ihrem Vater in Neuville-les-Dames, in der Nähe von Lyon.
    So sah ich also Mathilde Étrelat und ihr ansteckendes Lächeln wieder und entdeckte, während sie den Lancia umrundete und dann darin Platz nahm, ihren hübschen (ja bedächtigen) Gang. Plaudernd fuhren wir zum Kino. Mathilde war nicht mehr berufstätig, sie widmete sich ganz ihrer Tochter und hatte ihr Lateinstudium wieder aufgenommen. Außerdem arbeitete sie an einem Forschungsprojekt über Virgil. Sie liebte Übersetzungen aus dem Lateinischen seit der Schule. Das ging mir genauso, sagte ich.
    Der Film
Each Dawn I Die
war schematisch, doch vielleicht weniger schematisch als es schien. Beeindruckend war die Szene, in der die Figur mit dem Spitznamen »der Hinkende« bei einer Filmvorführung für die Gefangenen ermordet wird, und in demMoment sahen wir uns im Halbdunkel an, um die in uns ausgelösten Gefühle zu teilen.
    Nach dem Film fuhr ich Mathilde nach Hause. Seit ihrer Scheidung lebte sie in einer schönen Wohnung am Place de la Nation. Ihr Mann hatte ihr beim Fortgehen ein kleines Vermögen hinterlassen –

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