Gesetzlos - Roman
halten.«
Hatte ich ihre theoretischen Verdächtigungen abgeschmettert? Ich hoffte es, aber … wenn sie den Täter nicht fanden, würde ich dann nicht medizinischen Untersuchungen unterzogen werden? Und würden diese Untersuchungen meine Unschuld beweisen oder würde der Zweifel fortbestehen? Wenn der Angreifer darauf geachtet hatte, keine Spuren von sich auf Cathy zu hinterlassen, dann konnte ich der Angreifer sein. Hatte man Cathy untersucht? Sollte ich Gusta danach fragen? Meine Gedanken verwirrten sich.
Ich hatte Angst, ich fühlte mich wieder unbehaglich.
Während ich zauderte, ob ich ihnen von meinen inneren Qualen erzählen sollte, klingelte Gustas Mobiltelefon in seiner Tasche – ein paar Takte klassischer Musik, ich glaube von Couperin, vielleicht war der Herr Musikliebhaber.
Er nahm den Anruf entgegen und lauschte mit gerunzelter Stirn (tausend weitere Falten). Ging es um Cathy? Ja … wer rief ihn an, um ihm was mitzuteilen?
»In Ordnung«, sagte er. »Sorgen Sie dafür, dass das Zimmer leer ist, wenn wir kommen. Sagen Sie dem Vater nichts, sondern bringen Sie ihn unter irgendeinem Vorwand fort, ärztliche Anweisung zum Beispiel. Bis gleich.«
Er räumte sein Handy weg.
»Cathy Maynial ist aus dem Koma erwacht. Leider nicht für sehr lange! Der Oberarzt hat sie eben untersucht. Er hält sie für nicht operabel. Er wartet auf einen Kollegen, bevor er eine Entscheidung trifft. Sprechen fällt ihr schwer, aber … (er sah mich an – er hatte den Hoffnungsschimmer und dann die Verzweiflung in meinen Augen gesehen – und sagte liebenswürdig zu mir:) Wollen Sie uns begleiten?«
Zwanzig Minuten später fuhren wir mit Blaulicht den Boulevard périphérique entlang. Gusta raste, mit einer Mischung aus Geschicklichkeit und Entspanntheit, die mich verblüffte, denn meines Wissens pflegte nur Maxime diesen virtuosen Fahrstil – und schon bald parkten wir vor der Saint-Louis-Klinik im Norden von Versailles.
Mein Herz klopfte heftig. Wir liefen durch die menschenleeren Flure der neurologischen Abteilung. Ich erinnere mich mit grausamer Genauigkeit an den Lärm, den unsere eiligen Schritte verursachten.
Zimmer 24. Wir traten ein. Die glühende Sonne fiel durch die Metalljalousien. Ein Krankenhausmitarbeiter stand am Bett der armen Cathy und überwachte mehrere Apparate. Sie war mit unzähligen Verbänden eingewickelt, ihr langes schwarzes Haar war abrasiert worden, man sah nur ihr Gesicht und die Unterarme, die auf der Decke lagen. Auf einer Wange hatte sie einen braunen Fleck, und die Lippen waren auf der einen Seite etwas zu rot.
»So wenig wie möglich«, sagte der Krankenhausangestellte zu uns. (Dann in Suberts Ohr:) »Sie hat nach Herrn Koenig gefragt. Ihr Vater hat es vorgezogen, ihr seinen Tod zu verheimlichen.«
Ich setzte mich neben sie. Sie erblickte mich. Es gelang mir, sie anzulächeln. Auch sie lächelte, während ihr Tränen über dieWangen liefen. Ich nahm ihre Hand. Ihre Augen waren weit aufgerissen, starr, aber sie sah mich, sie sah mich vertrauensvoll an.
»Es ist vorbei, mein Schatz, es wird alles gut«, sagte ich sanft. »Hast du Schmerzen?« (Sie flüsterte ein kleines »Nein«.) »Weißt du Cathy, du musst jetzt gut zuhören. Ich bin mit Freunden hier, die brauchen Informationen über den Mann, der euch überfallen hat, Anton und dich. Wie er aussah, wie er angezogen war, alles, was du uns sagen kannst. Sag mir einfach alles, mein Liebling …«
Und Cathy, die sich der Bedeutung dessen, was man von ihr erwartete, bewusst war, beschrieb einen Angreifer von mittlerer Größe, eher alt als jung, mit langem weißen Haar, blonden Härchen auf den Händen, mit einer Art Anzug aus hellem Stoff bekleidet. Am Revers des Sakkos war etwas angesteckt, eine Medaille. Sie wiederholte bestimmte Details mit immer schwächerer Stimme, dann hörte sie auf zu sprechen.
Dann starrte sie mich plötzlich mit unsagbarer Verzweiflung an. Ich hatte gerade noch Zeit: »Danke, mein Liebling!« zu sagen und ihr die Hand zu küssen, bevor sie für immer die Augen schloss. Sie war wieder in ihr Koma zurückgefallen.
Sie starb in der Nacht, ohne noch einmal zu Bewusstsein zu kommen.
Maxime war bei mir, als ich es erfuhr. Er war gekommen, um mir Gesellschaft zu leisten, und übernachtete bei mir.
Am nächsten Tag musste ich für die offizielle Zeugenaussage zur interregionalen Polizeidirektion in Versailles fahren. Gusta empfing mich. Ich erzählte noch einmal meinen Mittwochabend.
Gusta brachte mich an
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