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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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eingelebt, sowohl was die Wohnung, als auch was die Arbeit betrifft. Ich erwarte dich ab dem 15. August, passt dir das? Ab da hätte ich Zeit.«
    »Bestens! Genau vor Schulbeginn, bestens! Ich kann es kaum erwarten. Ich freu mich irrsinnig darauf, wenn du wüsstest!«
    »Nun, die Erfreuung ist ganz meine!«, sagte er mit rollendem »r«. »Weißt du, woraus das ist?«
    »Feydeau. Der südamerikanische General …«
    »Bravo! Ich habe sämtliche Dramen mitgenommen. Ich werde sie alle lesen beziehungsweise noch einmal lesen.«
    Er liebte diese Art Theater, das Spiel an der Oberfläche der Handlung, das Spiel an der oberflächlichsten Oberfläche, das jedoch nach zwei Stunden mit zahllosen sich überkreuzenden Geschichten, Verwechslungen, Auftritten und Abgängen, Missverständnissen und Zufällen, auf geradezu magische Weise Tiefe entwickelte.
    Tunis mit Maxime, in der zweiten Augusthälfte! Welch glückliche Aussicht!
    Als ich auflegte, war es achtzehn Uhr. Ich ging hinaus, um Einkäufe zu machen. Auf dem Rückweg hielt ich am Tief kühlkost-Laden Picard in der Avenue Trudaine, die nur zwei- bis dreihundert Meter von mir entfernt ist. Ich hatte nicht vor, Tief kühlwaren zu kaufen, aber der Lieferantenparkplatz war frei, das war zu verlockend, ich nahm ihn mir (ja, ich nahm ihn mir, ich werde später sehen, ob ich dieses »ich nahm ihn mir« stehen lasse, jetzt habe ich zu aufregende Dinge zu erzählen, als dass ich mich unterbrechen und nachdenken könnte). Ich mochte die Avenue Trudaine mit ihrer leicht unwirklichen Atmosphäre, die wohl darauf zurückzuführen war, dass sie gemessen an ihrer geringen Länge extrem breit angelegt war, ein imposanter Straßenabschnitt, der im dichten, erstickenden Netz der anderen Straßen des Viertels gefangen schien. Man hätte ihn für den Beginn einer langen Prachtstraße halten können, die infolge eines ungeheuerlichen städteplanerischen Fehlers plötzlich abbrach.
    Ich parkte.
    Unter einem Baum erblickte ich eine Frau, die manieriert eine Zigarette rauchte.
    Die Ruhe dieses Orts gefiel mir, die vielen Platanen und neben dem Tief kühlkost-Geschäft das mit Statuen verzierte Portal, auf der anderen Seite des Bürgersteigs das große Amtsgebäude mit dem geheimnisvollen Aussehen (die Neugierde nachzusehen, um was für ein Gebäude es sich eigentlich handelte, habe ich nie besessen).
    Als ich wieder herauskam, goss es in Strömen. (Wahrhaftig erinnerte ich mich, schon drinnen ein Donnern gehört zu haben.) In Strömen, dennoch erreichte ich mein Auto, ohne einen Tropfen Regen abzubekommen, so dicht war das Laubdach der Platanen, die mit ihren tausend Blättern dem Wasser des Himmels Einhalt geboten. Eine angenehme Empfindung, eine solche Sintflut zu sehen und zu hören, ohne im Geringsten nass zu werden. Für einen Augenblick blieb ich neben dem Auto stehen. Die Frau mit der Zigarette war verschwunden.
    Unwillkürlich suchte mein Blick nach dem Stummel am Boden, dort, wo sie gestanden hatte, ich sah aber nichts.
    Ich kehrte in meine Wohnung zurück (wobei ich diesmal auf dem kleinen Lieferplatz vor dem Pressehaus parkte, auf dem sich Anton Koenig häufig hingestellt hatte, wenn er auf Cathy wartete). Die Nachbarn unter mir mussten eine neue Waschmaschine gekauft haben, das gewohnte und unaufdringliche bu-ru-dum, bu-ru-dum war einem trockenen, mächtigen und ehrlich gesagt nervtötenden Ra-ta-dam, Ra-ta-dam gewichen. Apropos Waschmaschine, ich dachte bei mir, dass es gut wäre, bald selbst das Gerät zu wechseln, das jedesmal eine Störung meldete, wenn ich den Knopf nach …
    Aber ich merke, ich zögere den Moment hinaus, von meinen Sommerferien (vor meiner Abreise nach Tunis am 18. August) zu erzählen, vermutlich aus Angst, verurteilt zu werden. Vielleicht sollte ich meine Beziehungen zu Leuten, die bereit waren, nach meiner Hand zu greifen oder ich nach der ihren, genauer analysieren, doch die Zeit rennt mir leider davon (der Leser möge mir daher vertrauen, versuchen ohne Erklärungen zu verstehen und nicht schlecht über mich denken), ich habe es eilig (auch wenn ich den Moment, über die Ferien zu erzählen, hinauszögere, aber das widerspricht sich nicht) zu den (wieder einmal entsetzlichen) Ereignissen zu kommen, die im September auf den Schulbeginn folgten.
    Ich versuche schnell zu machen. Am Dienstag, den 22. Juli, erhielt ich eine schöne Postkarte von Marie-Pierre Valet-Michelet, der Zeichenlehrerin, die das Institut Benjamin verlassen hatte, um am französischen

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