Gesetzlos - Roman
selbst.«
Einmal mehr hatte ich den Eindruck, dass Maxime mir einen Wink mit dem Zaunpfahl gab, dass er reden wollte, sich mit einem Geständnis von einer Last befreien wollte. Ich griff nach diesem Zaunpfahl, ohne mir Illusionen zu machen – er entzog sich mir gleich wieder.
»Deine schlimmsten Vergehen?«
»Ja. Ich bin nicht treu in der Liebe. Manchmal schäme ich mich dafür. Ich arbeite, um zu büßen.«
Ich wusste, dass es zwecklos wäre, ihn über die Formen dieser »Buße« auszufragen. Wenn er nicht von selbst darüber sprach, hatte er entweder nichts zu sagen oder es war ihm unmöglich, etwas hielt ihn davon ab. Er hatte nichts zu sagen? Ich war mir sicher, dass das nicht stimmte. Naja, war ich mir wirklich ganz sicher? (Aber so geht es einem mit vielen Dingen im Leben, man ist sich ganz sicher und gleichzeitig zweifelt man.)
Seiner Gewohnheit entsprechend fuhr er schnell und gut. Seine scherzhaften Beschimpfungen der anderen Fahrer waren unterhaltsam – und Maxime war die einzige Person auf der Welt, bei der ich mich auf dem Beifahrersitz sicher fühlte.
Er fuhr fort:
»Die Lösung wäre, den Beruf aufzugeben. Zuzugeben, dass meine Leidenschaft für ihn sich mit der Zeit abgekühlt hat. Aber was dann? Diese Frage habe ich mir schon tausendmal gestellt, weißt du. So wie ein, zwei andere Fragen. So viele Fragen! Ich freue mich schon auf den Tag, an dem die große Antwort kommt!«
»Sag mal, mein Lieber, willst du mich nicht lieber gleich zum Flughafen zurückfahren? Meine derzeitige Gemütsverfassung gleicht einem Stück Knetmasse und erlaubt es mir nicht …«
»Haha! Du hast Recht. Komm, wir spielen ein bisschen Tourist und machen uns eine schöne Zeit!«
Und so spielten wir tatsächlich für zehn Tage Tourist, indem wir alles besichtigten, was man in Tunis eben so besichtigt, uns am Strand sonnten, am 24. beim Festival von Karthago einem klassischen Trompetenkonzert von André Bernard beiwohnten –André Bernard, der vor siebentausend Menschen im Amphitheater von Karthago diesem schwierigen Instrument sein Gesetz aufzwang, berührte uns zutiefst und war für uns das Symbol eines Menschen, der heroisch gegen seine eigenen Grenzen ankämpft –, am 26. in einer Villa am Meer eine neue Bekanntschaft von Maxime besuchen gingen, Nadia, die eine Freundin eingeladen hatte, Stella, eine Tunesierin mittleren Alters (mit der ich die in meinem bisherigen Leben, glaube ich, einmalige Erfahrung eines One-night-stand ohne Vergangenheit noch Zukunft machte).
Maxime hatte Anabel Trieste nicht mehr erwähnt, und aus Diskretion hatte ich keine Fragen gestellt.
Viele friedliche Stunden vergingen in der schönen Villa, die er bewohnte. Ganz gleich, an welchem Ort er sich niederließ, und war es auch nur für kurze Zeit, mietete er immer ein Klavier. Er hatte angefangen, ein neues Stück der Renaissance für seine Stimme und Klavierbegleitung zu bearbeiten,
Belle qui tiens ma vie
von Jean Tabourot und das berühmte
In Darkness Let Me Dwell
seines geliebten und wehleidigen John Dowland.
Und wie üblich lachten wir viel, betäubten unsere Ohren mit vielem »Haha!«, man hätte schwer sagen können, wer das klangvollere von sich gab. In Sevilla hatte mir Marie-Pierre eine alte spanische Ausgabe eines Buchs von Francisco de Quevedo,
Vida des buscon llamado Don Pablos
geschenkt, »
Der Abenteuerliche Buscón«
, ich übersetzte Maxime die tolldreistesten Passagen. Dabei erinnerte ich mich, das Buch auf Französisch gelesen zu haben, ohne auch nur annähernd so viel gelacht zu haben. (Dass der allzu blumigen französischen Übersetzung der trockene Humor des spanischen Originals fehlte, hatte Michel Nomen, Claras Onkel, bereits dreizehn Jahre zuvor bemerkt – was ich, aus Claras Mund, erst dreizehn Jahre später erfahren sollte.)
Maxime las mir im Gegenzug ganze Szenen von Feydeau vor, wobei er alle Figuren nachahmte, wie entfesselt spielte.
Er hatte in der internationalen Buchhandlung von Tunis zwei kürzlich erschienene Bücher amerikanischer Autoren gekauft,die sich mit der Reinkarnation befassten. Eines Tages blätterte ich in ihnen, ohne dass ich darin irgendetwas fand, das mein Interesse weckte. Die Autoren warfen die üblichen Fragen auf und beantworteten sie auf noch mittelmäßigere Weise als sonst: die Möglichkeit einer menschlichen, tierischen, gar pflanzlichen Reinkarnation, die genauen Umstände, unter denen freie Seelen zu Körpern wanderten, die bereit waren, sie zu empfangen – konnte eine
Weitere Kostenlose Bücher