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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Gymnasium von Madrid zu unterrichten. Ich hatte seit zwei Jahren nichts mehr von ihr gehört. Sie schrieb mir aus Sevilla und teilte mir ihre Telefonnummer mit. Nach zwei erfolglosen Versuchen gelang es mir, sie am Abend zu erreichen. Sie wohne in einer Wohnung, die sie und ihr Freund für den Urlaub in Sevilla gemietet hätten, sagte sie, aber sie hätten sich verstritten, und ihr Freund sei abgereist. So bot sie mir inaller Schlichtheit an, natürlich nur wenn ich Lust hätte und sich mir die Möglichkeit böte, einige Tage bei ihr zu verbringen. Sie fühle sich ein wenig verloren, habe nicht den Mut, nach Madrid zurückzukehren, aber auch nicht allein in Sevilla zu bleiben. Ich ging auf ihr Angebot ein. Bis zum 11. August, jenem Tag, an dem ich nach Cadaqués zu Mathilde Étrelat in ein Hotel reisen sollte (ohne das Wissen ihrer Tochter: Mathilde bestand darauf, dass Maryse auf keinen Fall etwas über unsere Beziehung erfuhr), hatte ich keine Termine. Ich nahm ihr Angebot an und blieb vom 28. Juli bis zum 9. August in Sevilla. (Ich nutzte den Aufenthalt, um nach Cuevas del Almanzora in der südspanischen Provinz Almeria zu reisen, wo meine Mutter geboren war.)
    Und nach dem 9.? Zwischen dem 9. und dem 11.? Nach Marie-Pierre Valet-Michelet? Nun, nach Marie-Pierre Valet-Michelet legte ich einen zweitägigen Halt bei mir zu Hause, in der Rue des Martyrs, ein, ich hatte das Bedürfnis allein zu sein.
    Maxime hatte mir per Mail vierundzwanzig Fotos geschickt. Er wohnte nie in den hochkomfortablen Dienstwohnungen, die seine Arbeitgeber ihm jeweils zur Verfügung stellten. Er hatte ein Traumhaus gemietet, von dem aus (insbesondere von »meinem« Zimmer aus) man einen herrlichen Blick auf den berühmten Habib-Thameur Garten im Passage-Viertel hatte. (Woher hatte er so viel Geld, dass er so wenig auf seine Ausgaben achtete, diese Frage drängte sich mir, wie bereits erwähnt, gelegentlich auf.)
    Am 11. August (dem Namenstag von Claire) brach ich also nach Spanien auf und reiste zu Mathilde in ein Hotel oberhalb von Cadaqués. Enttäuschung, das von ihr gemietete Zimmer bot keinen Blick aufs Meer und – ob nun telefonisches Missverständnis oder Gerissenheit des Eigentümers –: Wir hatten nicht die Wahl.
    Zwei weitere Nächte in der Rue des Martyrs, vom 16. auf den 18. Zurückgezogen hinter geschlossenen Fensterläden hörte ich viel Musik, und voll Glückseligkeit hörte ich eine Messe von Pierre de la Rue,
Missa de septem doloribus
, die Messe der SiebenLeiden, für die menschliche Stimme natürlich, fünf, aber ich erinnere mich, bereits an die mögliche Bearbeitung solcher Stücke für Klavier gedacht zu haben.
    Am Fest der Heiligen Helena flog ich nach Tunis.
    Ich fand, dass Maxime müde aussah, sein Gesicht – dieses bemerkenswerte Gesicht, dessen energische und zugleich feine Züge dank seiner Filmfrisur besonders gut zur Geltung kam – wirkte weniger lebhaft als sonst. Er war erschöpft von dem enormen Arbeitspensum, das er seit seiner Ankunft bewältigt hatte, und von den zu kurzen Nächten. »Die Frauen sind weniger schön als in Moldawien«, war der vierte Satz, den er am Flughafen von Karthago von sich gab, mit einem Lächeln, das er diesmal nicht verbergen konnte, weil seine Hände damit beschäftigt waren, mein schweres Gepäck zu tragen, das er mir nach unserer überschwänglichen Begrüßung aus der Hand gerissen hatte.
    Er wollte meine Anwesenheit nutzen, um sich auszuruhen, ohne zu sehr an die Arbeit zu denken, die ihn erwartete. Die Europäische Union hatte, wie vorgesehen, zweiundzwanzig Millionen Euro vorgestreckt, um der tunesischen Regierung bei der Modernisierung ihres Rechtssystems zu helfen. Maxime war der Leiter eines Teams mit viel technischem Personal. Er musste verschiedene vorbereitende Projekte auf die Beine stellen, die das große Reformprojekt in die Wege leiten sollten, Staatsanwälte ausbilden, gemeinsam mit ihnen die speziellen Erfordernisse ausloten und schließlich eine endlose Reihe von Konferenzen und Seminaren organisieren.
    »Diese Langeweile, diese Ödigkeit! Aber gut, ich arbeite, anstatt tatenlos herumzusitzen, ich tue etwas für das Allgemeinwohl«, sagte er mir auf der Autobahn, die uns nach Tunis brachte. »Umso besser. Ein Art Gegengewicht zu meinen schlimmsten Vergehen. Zumindest rede ich mir das ein, um durchzuhalten, um gegen die Verblödung durch die zermürbende Routine anzukämpfen, die nebenbei gesagt meine Müdigkeit viel besser erklärt als die Arbeit

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