Gesetzlos - Roman
Ermittlungsverfahren einzuleiten.«
Er öffnete ein Schubfach, aus dem er verschiedene Formulare herausholte – und fragte mich dann unerwartet:
»Was für ein Instrument spielen Sie eigentlich, Herr Musiklehrer?«
»Klavier«, sagte ich. »Und seit einiger Zeit ein wenig Gitarre. (Dann stellte ich ihm die ebenso unpassende Gegenfrage:) Und Sie?«
Er lächelte, jedoch nicht lange, sondern wand sich wie ein ertapptes Kind:
»Ich? … Cello. Ich spiele seit meiner Kindheit. Die Suiten für Cello von Bach.« (Noch ein Lächeln:) »Auf Wunsch meiner Mutter,die sehr musikalisch war. Ich spiele sie nicht gut, muss ich hinzufügen. Sogar schlecht, furchtbar schlecht. Egal, ich frage mich oft, was mein Leben ohne sie wäre. Ja, das frage ich mich …«
Ein neuer Antoine Gusta stand vor mir. (Aber ich glaube bereits bei unserer ersten Begegnung bemerkt zu haben, dass er kein gewöhnlicher Mann war.) Eine Minute zuvor hatte er mich zur Weißglut gebracht und auf einmal fand ich ihn rührend. Während wir uns den erwähnten Pflichten stellten, sprachen wir über Musik – angesichts der Umstände auf nicht gerade natürliche Weise, es war seltsam, beinahe grotesk.
Bevor wir auseinander gingen, gab er mir seine Handynummer. Ich könnte ihn anrufen, wann ich wollte, auch nachts.
Es waren wohlmeinende und beruhigende Worte. Ich dankte ihm von ganzem Herzen.
Zu Hause griff ich dann, nach zwei Bananen zum Mittag und einer kalten oder annähernd kalten Dusche, durch die sich die Nebel der versehentlich eingenommenen einschläfernden Substanzen endgültig verzogen, nach dem Telefonhörer und schilderte dem entsetzten und vor Sorge halb wahnsinnigen Maxime von meiner letzten Nacht. Ich erzählte ihm, wie ich vor meinem Aufbruch nach Versailles mit dem Gedanken gespielt hatte, den Feuhm S4 für mich zu behalten.
»Man muss ja nicht gleich bewaffnet aus dem Haus gehen, aber es wäre doch ganz gut, wenn man dich eine Zeitlang unter Schutz stellen würde, meinst du nicht?«
»Der Kommissar hat das Problem angesprochen. Aber ich gehöre nicht zu der Kategorie von Leuten, die man bewacht. Für einen richtigen Personenschutz braucht man sechs bis sieben Mann, wegen Urlaub, Überstunden, Nachtarbeit, ich weiß nicht, was er mir noch alles erzählt hat, jedenfalls kostet es ein Vermögen, kurz, vom Papst abgesehen …«
Selbstverständlich war Maxime bereit, seine Arbeit zu unterbrechen und mir Gesellschaft zu leisten, und selbstverständlich lehnte ich dies kategorisch ab.
»Wenn du wüsstest, wie sehr deine Geschichte mir Sorgen bereitet!«, sagte er. »Ich werde keine Ruhe haben, das kannst du mir glauben …«
»Wenn Cathys Vater dahintersteckt … Er muss es sein, gar keine Frage! Wenn er dahintersteckt, geht der Kommissar davon aus, dass er keinen weiteren Versuch unternehmen wird …«
Maxime sagte nichts mehr. Die Sekunden dehnten sich endlos aus. Mir schien, als dächte er über eine Lösung nach, eine Lösung mit seiner Hilfe – dank seiner Beziehungen, dank der Leute, die er kannte? – das nahm ich zumindest an, ich bin mir natürlich nicht ganz sicher –, als zöge er etwas in Betracht und als stellte sich dieses Etwas als zu kompliziert, als unmöglich heraus, denn am Ende sagte er nichts.
K APITEL 9
ALMA PEREZ
Mit ihr geht die Sonne auf und unter
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Val Kilmer
Die liebenden Geliebten,
wo sind sie? Gräberfern
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Gérard de Nerval
Die innere Verpflichtung, sich um Clara zu kümmern, und die überwältigende Liebe, die Michel für das Baby empfand, kaum dass es auf die Welt gekommen war, hielten ihn davon ab, eine unwiderrufliche Tat zu begehen. Es gelang ihm, der dunklen Gedanken Herr zu werden, die ihn den ganzen Tag des 21. September 1986, den Tag nach dem Tod seiner Schwester, verfolgt hatten.
Die verzweifelte Sylvie verbrachte zwei Wochen an seiner Seite. Sie diente Maurice Duplat inzwischen als Krankenschwester. (Sie beschwerte sich nicht darüber, bereute es nicht, er hatte ihr viel gegeben und gab ihr noch immer viel.) Gern hätte sie für Clara wiederholt, was sie für Lucie getan hatte, doch das war leider unmöglich.
Ständig weinte sie – sie, die so stark war. Sogar beim Aufbruch konnte sie, obwohl sie sich geschworen hatte, ein fröhliches Gesicht zu machen, nicht an sich halten, und so sah Michel sie tränenüberströmt in den Zug steigen, der sie zurück nach Como brachte. Sie sollte Michel und Clara vor ihrem Tod im Jahr 1993 nur noch ein Dutzend Male sehen.
Nach dieser Katastrophe galt
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