Gesetzlos - Roman
aus.
Ich traf meinen lieben Freund (abgesehen von Saint-Maur, wo er seine Aufenthalte allmählich immer weiter ausdehnte) in Tunis, wo er eine lange Zeit verbrachte und seine wichtigen und schwierigen Missionen zur vollsten Zufriedenheit erfüllte, in Sankt Petersburg, in Kiew, in Lyon, in Madrid, in Prag, in Mailand und in Bukarest. Überall, wo er lebte, hatte er Freundinnen, die Freundinnen hatten, und so genossen wir das Leben und die Freuden, die es bereithielt, mit jener Mischung aus Verbissenheit und Verzweiflung, die uns von Anfang an zusammengeschweißt hatte.
Diese Reisen zwangen mich, Paris zu verlassen, was ich normalerweise ungern, ja immer seltener tat, um nicht zu sagen: nie. Ich wurde häuslich. Ich mochte nicht fern von meinem Klavier und meinen Partituren schlafen. Bis auf eine Ausnahme: Zwischen November ’05 und Februar ’06 verbrachte ich einige Tage in Grenoble, wo eine Studienfreundin, Laura, wohnte, mit der ich (in ihrer Grenobler Wohnung im obersten Stock eines Hochhauses mit einer Terrasse, die mit Zwergtannen bepflanzt war) das vollzog, wovon die Zufälle und Launen des Lebens uns abgehalten hatten, als wir uns im Studium mit neunzehn Jahren kennengelernt hatten. War dies meine längste Beziehung in diesen zehn Jahren? Nein, da war noch die feinsinnige, lustbetonte und zerbrechliche Claire, der ich bei einem Konzert begegnet war (im Zwischenakt) und die ich knapp ein Jahr lang regelmäßig sah (zu dem Zeitpunkt lebte sie sogar bei mir), ich hatte nämlich während zwei ekstatischer Wochen geglaubt, endlich auf dem sonnigen Hügel der Liebe mit den immer blühenden Hängen angelangt zu sein, auf dem wir alle davon träumen eines Tages unseren Wohnsitz zu beziehen und uns lustvoll darauf zu ergehen, Claire, bei der mein elendes, lebensunfähiges kleines Ich beinahe geglaubt hätte, zur Welt gekommen zu sein – doch dem war leider nicht so, und schon bald sollten diverse kleinere Erschütterungen und Erdrutsche (im gelobten Land) die schöne Ordnung der Landschaft zerstören und die Schutthalde meiner Träume, die sich im hintersten Teil meines Schädels auftürmte, weiter anwachsen lassen.
Ich räume ein, ziemliche viele Bilder für die kurze Erwähnung meiner Geschichte mit Claire, als sollten sie das Skelett des Schmerzes verbergen, der von meiner Liebestrance genau in jenem Moment entfacht wurde, als meine schlimmsten Erwartungen erfüllt wurden und das leidenschaftliche Band zwischen mir und der geliebten Person den Verschmelzungsgrad erreichte, sehr viele Bilder, das will ich gar nicht leugnen, kriechen hier über mein Blatt Papier und klammern sich an meine Feder,wenn ich ihnen nicht den Platz einräume, den sie laut schnatternd einfordern – aber wer von uns hat sich noch nie der Illusion hingegeben, ein dicker Mantel aus Stroh würde ihn schon vor dem Feuer bewahren?
Mitte des Jahres ’07 traf Maxime eine Entscheidung, die er lange Zeit von einem Jahr aufs nächste geschoben hatte: Er verzichtete auf weitere Auslandsaufenthalte und arbeitete fortan von zu Hause aus, in seinem prachtvollen Geburtshaus in Saint-Maur, nur gelegentlich nahm er noch Blitzaufträge von drei oder vier Tagen an. Hatte er es tatsächlich satt, fast nie in Saint-Maur zu sein, oder gab es einen anderen Grund für die einschneidende Veränderung seines Lebensstils im Juni ’07 – schwer zu sagen, die Frage beschäftige mich.
Über die Brücke von Créteil, vorbei an der Kirche Notre-Dame-des-Anges, an den roten Kastanien der Impasse du Midi, die breit und einladend war: Ich stattete ihm häufig Besuche ab und wir gingen unseren üblichen Beschäftigungen nach, Musik, Kino, köstliche Mahlzeiten (die genussvoll im Restaurant verzehrt oder von seinem Feinkostladen in Vincennes angeliefert wurden), Schachpartien, endlose Unterhaltungen über Nichtigkeiten und die erstaunlichen Grundlagen unseres Daseins als Mensch.
Seine Geisternachbarn sah ich nie, und er auch nicht, bestenfalls von Weitem, oder es waren Freunde, denen die Nachbarn ihr Haus geliehen hatten, woher sollte man das wissen, ganz abgesehen von den langen Zeiträumen, in denen sie nach Maximes Einschätzung nicht da waren und das Haus leer stand – und ich will gar nicht erst von den Zufällen sprechen, die einem die Menschen und Dinge ringsumher lange verborgen halten können, obgleich diese räumlich gesehen ganz in der Nähe leben.
In dem italienischen Restaurant, das kürzlich in der Rue des Martyrs eröffnet hatte und wo einem die
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