Gesicht im Schatten: Idylle - Stalking - Mord
mir ja nichts passiert. Ich war
absolut sprachlos. Als ich die Worte wiedergefunden hatte, hatte ich den
Polizisten böse gefragt, ob es richtig sei, dass ich darauf warten müsse, bis
mir alle Autoreifen zerstochen würden. Er zuckte darauf wieder resigniert mit
den Schultern und sagte nur noch „ja“.
Was sollte ich also heute von
der Polizei erwarten? Täter werden einfach zu lange geschützt und das Opfer
befindet sich fast immer in der Rolle eines vermeintlichen Lügners.
Diese Schmierereien, die ich
inzwischen fast drei Mal in der Woche vorfand, hatten mich schon so weit
gebracht, dass ich mich regelrecht verfolgt fühlte. Ich hatte angefangen mich
damit zu beschäftigen, wie viele verhaltensauffällige Menschen es wohl gab. Es
gab tatsächlich schon sehr viele Untersuchungen darüber. Mal konnte man lesen,
dass jeder dritte Deutsche einen geistigen Schaden hatte, mal wurde berichtet,
dass jeder Zehnte einen solchen Schaden hat. Das half mir nun gar nicht weiter,
so dass ich für mich zu dem Schluss gekommen war, dass die wirkliche Zahl im
Dunkeln lag. Wie es wohl bei unseren europäischen Nachbarn aussah. Illusionen
machte ich mir keine, denn auch dort wird es gestörte Menschen geben.
Ich ertappte mich, wie ich ein
trockenes Brötchen mit den Fingern bearbeitete, den Teig herauspulte und wie in
Trance in den Mund steckte.
Dass viele Menschen keinen
Respekt mehr vor anderen hatten, war meiner Meinung nach zu einem großen Teil
auf diese dumme anti-autoritäre Erziehung Ende der 60er Jahre zurückzuführen.
Damit hatte sich die Gesellschaft einen absoluten Bärendienst erwiesen. Die
fehlende Achtung vor anderen Menschen und die ebenfalls fehlende Höflichkeit
machten den Menschen entgegen aller Erwartungen das Leben schwerer. Es wurde
nicht leichter.
Aber was war mit solchen
Menschen, wie diesem Briefeschreiber. Solch ein Mensch hatte doch eindeutig
eine Schraube locker. Nicht nur die Hartnäckigkeit und Penetranz waren dabei so
erschreckend, sondern auch die Widerwärtigkeit des Geschriebenen an sich. Hatte
es solche Phänomene auch in den früheren Generationen gegeben? Vielleicht ja,
aber es gab auch mehr Kriege, die die Menschen so in ihren Grundfesten
erschütterten, dass sie zu sehr mit sich und ihrem Seelenheil beschäftigt
waren, um solche Abartigkeiten aufkommen zu lassen.
„Mensch, dass ich da noch nicht
eher drauf gekommen bin“, sprach ich laut vor mich hin und knallte die Faust so
fest auf den Tisch, dass die Kaffeetasse einen Satz machte und Amelie mich
erschrocken ansah.
Der Kaffee war inzwischen kalt
geworden und ich setzte frisches Wasser auf.
Wirklich helfen konnte mir
diese Erkenntnis zwar nicht, aber trotzdem beschloss ich, für heute mit diesen
trüben Gedanken aufzuhören und nun endlich richtig zu frühstücken.
Der Kaffee lief durch die
Maschine als das Telefon klingelte.
„Schwarz“, meldete ich mich.
„Hallo Susanne, hier ist
Stefan. Hast du schon in die Zeitung geschaut“,? fragte er gerade heraus.
„Hallo Stefan, nein ich hatte
noch keine Gelegenheit. Wieso rufst du mich zu Hause an?“ Ich war ein wenig
verwirrt, denn wie konnte Stefan wissen, dass ich heute meinen regulären freien
Tag hatte. Wobei man zur Zeit sowieso nicht von geregelter Arbeitszeit sprechen
konnte, da sich die angestellten Ärzte deutschlandweit im Streik befanden.
„Ich habe in der Klinik
angerufen und die sagten, dass du zu Hause bist. Störe ich?“
„Nein, nein überhaupt nicht.
Ein bisschen überrascht bin ich, das ist alles. Ist bei dir alles Okay?“
„Ja, oder auch wieder nein. Es
ist wieder eine Tote in Eurer Gegend gefunden worden und ich wollte fragen, ob
du Zeit hast heute Mittag. Ich habe bei Euch zu tun. Spurensicherung und so, du
weißt schon. Und ich würde auf dem Rückweg bei dir vorbeikommen.“
„Von mir aus gerne. Ich habe
heute nichts Konkretes vor. Soll ich dir beschreiben, wie du zu mir findest,
oder schaffst du das allein.“
Stefan ging gar nicht weiter
auf meine Frage ein und meinte nur „gut, dann bin ich so gegen ein Uhr bei Dir.
Bis später also.“
Schon hatte er aufgelegt.
Ich ging zum Küchentisch
zurück. In meiner Zeitung suchte ich den Lokalteil. Ein Artikel beherrschte die
gesamte erste Seite. In der Mitte ein Foto eines leblosen Frauengesichts. Unter
dem Bild stand Wieder eine Frauenleiche in Erftstadt gefunden
Ich setzte mich in Zeitlupe auf
den Küchenstuhl und schmierte mir ein Brötchen. Zusammen mit dem Brötchen,
einer Tasse Kaffee
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