Gesichter der Nacht
die Fracht zum größten Teil allein verladen, und am
Ende ist dann noch dieser alte Knabe aufgetaucht – Dobie, der in
den Gewächshäusern arbeitet – und hat mir
geholfen.« Er klatschte in die Hände. »Ich will jetzt
los. Unbedingt. Wenn mir heute jemand in die Quere kommt –, der
wird einfach überrollt.«
Marlowe zog seine Schuhe an und stand auf. »Das
ist die richtige Einstellung«, sagte er. »Hast du die
Schrotflinte?« Mac nickte, und Marlowe fuhr fort: »Gut. Das
ist eine Art Rückversicherung, aber halt nicht an. Wegen nichts
und niemand.«
Mac klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. »Keine Sorge, Mann. Diesmal bin ich nicht zu bremsen.«
Sie stiegen die Treppe hinunter und gingen auf den
Hof. Der Lastwagen stand schon da. Ein kalter Wind wehte. Es würde
wohl Regen geben. Marlowe schauderte. »Sieht so aus, als
würde das eine ziemlich scheußliche Nacht.«
Hinter ihm tauchte Maria auf, die
Thermosflasche und ein Stullenpaket in der Hand. »Passen Sie gut
auf«, sagte sie zu Mac, als sie ihm den Proviant reichte.
Der Jamaikaner grinste und brachte den Motor auf
Touren. »Keine Bange, Miß Maria. Ich hab' heute abend das
Gefühl, daß ich Glück haben werde. So wie früher
vor einem großen Kampf.«
Er winkte, und der Lastwagen holperte über den
Hof, hielt einen Moment am Tor und fuhr dann in die Dunkelheit hinein.
Die roten Rücklichter wurden immer kleiner. Und schließlich
waren sie verschwunden.
Maria seufzte, als sie sich umdrehte, um ins Haus
zurückzugehen, und Marlowe sagte: »Mach dir nur keine
Gedanken, mein Engel. Diesmal wird alles gut.«
»Hoffentlich«, sagte sie. Im Wohnzimmer
begann das Telefon zu klingeln, und sie ging hin, um abzunehmen. Ein
paar Sekunden später kam sie zurück. Sie war sichtlich
verärgert. »Es ist für dich.«
Marlowe war verblüfft. »Wer ist denn dran?«
»Das wirst du gleich merken.« Maria warf
den Kopf zurück, verschwand in der Küche und knallte die
Tür zu.
Als sich Marlowe dem Telefon näherte, hörte
er eine besorgte Stimme, die »Hallo, hallo!« rief. Er hob
den Hörer ans Ohr. »Marlowe.«
»Hugh, bist du's? Gott sei Dank, daß du
noch da bist.« Es war Jenny O'Connor, und sie klang erschreckt.
»Du bist also doch zurückgekommen«,
sagte Marlowe. »Ich hatte gehofft, du wärst
vernünftiger.«
»Laß gut sein.« Sie schluchzte fast. »Ich muß dich sehen. Kannst du kommen?«
Er runzelte die Stirn. »Ich bin ziemlich beschäftigt im Moment.«
»Bitte, Hugh. Ich habe furchtbare Probleme. Du
mußt mir helfen.« Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit.
Er zögerte einen Augenblick. Dann seufzte er. »Na schön. Wo bist du?«
»In meiner Wohnung«, antwortete sie. »Wann kannst du kommen?«
Er schaute auf seine Uhr. »Gegen halb
neun.« Sie wollte noch etwas sagen, aber er schnitt ihr das Wort
ab. »Das kannst du mir erzählen, wenn ich da bin«,
meinte er und legte auf.
Er ging ins Schlafzimmer, um seine Jacke und einen
Schal zu holen. Als er die Treppe herunterkam, stand Maria in der Diele
und trocknete sich die Hände an ihrer Schürze ab. »Was
wollte sie?« erkundigte sie sich.
Er war einen Moment lang in Versuchung, es ihr zu
erklären, aber dann sagte er bloß gereizt: »Was hat
das mit dir zu tun, verdammt noch mal? Also gut, wenn du's unbedingt
wissen mußt –, sie will mich sehen.«
»Und du springst, wenn sie pfeift«,
entgegnete Maria eifersüchtig. »Die kann mit dir machen, was
sie will. Du bist die reinste Marionette.«
Er drehte sich um und ging in die Nacht hinaus, bevor
sie noch mehr sagen konnte. Er nahm einen von den beiden Lastwagen, die
noch da waren, und fuhr kochend vor Wut nach Barford. Wer gab ihr das
Recht, ihm vorzuschreiben, was er tun und was er lassen sollte? Er
fluchte und kurbelte wild das Lenkrad herum, als er in einer
gefährlichen Kurve ins Schleudern geriet. Sie hatte sich zu seinem
Gewissen ernannt, sie urteilte über all seine Handlungen, und sie
befand ihn stets für schuldig. Er steckte sich eine Zigarette an
und beruhigte sich wieder. Nach einer Weile lächelte er sogar.
Jetzt hatte er ja das Geld. Er würde sie nicht mehr lange ertragen
müssen. Höchstens noch ein paar Tage.
Der Lastwagen schlitterte über das feuchte
Kopfsteinpflaster des Platzes. Marlowe bog in die Seitenstraße,
die zu Jenny O'Connors Wohnung führte, und parkte auf dem
Bürgersteig. Er stellte den Motor ab und ging den Rest des
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